Frauen erhalten an der Universität Hamburg mehr Unterstützung als je zuvor. Trotzdem sind noch einige Dinge zu verbessern

Der Raum, in dem das Treffen mit ihren künftigen Kollegen stattfinden sollte, war noch leer, als sie eintraf. Also nahm sich die junge Frau einen Stuhl und wartete. Kurz darauf marschierte ein älterer Herr hinein, sah sie verblüfft an – und machte auf dem Absatz kehrt. Er musste sich im Raum geirrt haben. Auf dem Gang traf er einen Kollegen, der ihn aufklärte: „Sie waren dort schon richtig. Das ist Frau Lembke, unsere neue Professorin.“

Wenn Ulrike Lembke diese Anekdote erzählt, tut sie das ohne Empörung. „Ich unterstelle keinerlei böse Absichten“, sagt sie. „Nur haben solche Erlebnisse meine Arbeit auch nicht erleichtert.“ Inzwischen guckt sie niemand mehr verwundert an. Seit sie 2009 ihre Stelle als Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Uni Hamburg antrat, hat sie sich viel Ansehen erarbeitet. Sie kann auf eine beachtliche Liste von Veröffentlichungen verweisen, sie ist Mitglied eines Netzwerks, das die EU-Kommission berät, sie gilt als sehr engagiert. Für die „herausragende fachliche und didaktische Qualität“ ihrer Seminare wurde sie 2012 vom Senat mit dem Hamburger Lehrpreis ausgezeichnet. Und weil sie sich besonders für die Unterstützung von Frauen an ihrer Hochschule einsetzt, erhielt sie 2013 den Frauenförderpreis der Universität.

Es gibt immer mehr aufstrebende Wissenschaftlerinnen wie Lembke an der Universität; insbesondere die Talentierten und Engagierten bringen es oft weiter als früher, sie erhalten mehr Unterstützung, werden besonders gefördert, jedenfalls in bestimmten Belangen. Allerdings, sagt Lembke mit Blick auf das besagte Erlebnis in ihrer Anfangszeit: „Der Anteil von Frauen in der Wissenschaft ist nicht das einzige Merkmal gelungener Gleichstellung. Erst wenn bestimmte Strukturen beseitigt werden, die Frauen in der Wissenschaft die Arbeit erschweren, wird sich grundlegend etwas ändern.“

Ähnliche Einschätzungen hört man von anderen Forscherinnen der Hochschule: Einerseits habe sich viel getan, anderseits könnte vieles besser laufen.

Zum „einerseits“ zählen etliche neue Fördermaßnahmen für Frauen. Das fängt bei der verstärkten Unterstützung von Studentinnen an, die von einem Mentoring-Programm profitieren können oder von speziell für Frauen konzipierten Workshops etwa zum Thema Selbstpräsentation, die das Career Center der Universität anbietet.

Eben gestartet ist das Programm „Madame Courage“, an dem der Zonta-Club Hafen und der Sozialdienst Katholischer Frauen beteiligt sind. Dabei können alleinerziehende Studierende, die kein ausreichendes Einkommen und keinen Anspruch auf andere Förderung haben, finanzielle Hilfe bekommen.

An Habilitandinnen und Juniorprofessorinnen richtet sich das Agathe-Lasch-Coachingprogramm, benannt nach einer der ersten Professorinnen an der Universität Hamburg. 20 Frauen nehmen bisher daran teil; sie sprechen mit Coaches über Themen, die ihnen wichtig sind, etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Für Maßnahmen wie diese erhielt die Universität zuletzt Lob von besonderer Stelle: Die Hochschule gehöre zu den besten 23 von 121 deutschen Universitäten bei der Durchsetzung von Gleichstellungsstandards, so die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Ob diese Initiativen dazu beitragen, dass immer mehr Frauen eine wissenschaftliche Karriere anstreben, ist unklar. Darauf hindeuten könnte allerdings, dass sich der Frauenanteil an den Promotionen von 43 Prozent im Jahr 2005 auf 46 Prozent im Jahr 2011 erhöhte; noch deutlicher fällt der Zuwachs bei den Habilitationen an der Universität aus, wo sich der Frauenanteil von 18 Prozent im Jahr 2005 auf 29 Prozent im Jahr 2011 erhöhte.

Zur Frauenförderung ist auch die Vorgabe zu zählen, dass Berufungsausschüsse, die über die Neubesetzung von Professuren entscheiden, nun zu mindestens 40 Prozent mit Frauen besetzt sein müssten. „Damit wollen wir sicherstellen, dass beide Geschlechter fair behandelt werden“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Britta Ramminger, Juniorprofessorin für Archäologie. Unter anderem diese Regelung habe wohl dazu beigetragen, dass sich der Frauenanteil an den Professuren von 21 Prozent im Jahr 2005 auf mehr als 30 Prozent im Jahr 2011 erhöht habe. Ein weiterer Grund für den weiblichen Zuwachs in der Professorenschaft ist die Unterstützung durch das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern, das gerade in die zweite Runde geht. Dabei konnten sich Universitäten um Fördergeld bewerben – zu den Siegern gehörte in beiden Runden auch die Universität Hamburg. Mit dem Fördergeld aus der ersten Runde finanzierte die Hochschule eine Vorläuferprofessur der Soziologin Anita Engels und Regelprofessuren der Betriebswirtin Silke Boenigk und der Amerikanistin Astrid Böger. Mit den Mitteln aus der zweiten Runde kann die Universität nun bis zu drei weitere Professorinnen berufen.

Trotzdem sei nicht zu erwarten, dass sich der Frauenanteil an den Professuren weiterhin so stark erhöhen werde, sagt Britta Ramminger, „denn es gibt in den nächsten Jahren kaum noch Stellen neu zu besetzen“.

Spätestens an dieser Stelle muss das „andererseits“ dieser Geschichte beginnen. Von der Zunahme des Frauenanteils an den Professuren sind Spitzenpositionen bisher wenig berührt: Noch liegt der Frauenanteil an den höchstdotierten W3/C4-Professuren an allen Fakultäten unter 50 Prozent, wie aus einer Analyse der Gleichstellungsbeauftragten hervorgeht. Selbst in der Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft (EPB) und der Fakultät für Geisteswissenschaft (GW), die beide einen vergleichsweise hohen Frauenanteil am wissenschaftlichen Personal aufweisen, waren die Spitzenpositionen 2011 demnach nur zu 40 Prozent (EPB) und zu 38 Prozent (GW) mit Frauen besetzt. Deutlich darunter liegen die Frauenanteile an W3/C4-Professuren an den Fakultäten Wirtschaft und Sozialwissenschaften mit 25 Prozent, Recht mit 17 Prozent und Naturwissenschaften (MIN) mit acht Prozent. An der gesamten Universität lag der Frauenanteil an den W3/C4-Professuren 2011 im Schnitt bei 21 Prozent. „Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, desto weniger Frauen sind dort vertreten", sagt Britta Ramminger.

Viele Frauen, die womöglich das Zeug dazu hätten, schafften es gar nicht erst bis zu einer Professur, sagt Daniela Pfannkuche, Professorin am I. Institut für Theoretische Physik. „Während der Frauenanteil an der MIN-Fakultät bis einschließlich der Promotion nahezu konstant bleibt, ist ab der Postdoc-Phase ein deutlicher Schwund zu verzeichnen, also in der Zeit, in der die wissenschaftliche Karriere in Konkurrenz zur Familiengründung tritt.“ Dieser Schwund tritt Britta Ramminger zufolge auch in anderen Disziplinen auf.

Ein Grund: Wissenschaftlerinnen in dieser Phase können häufig nicht langfristig planen; viele finanzieren ihre Postdoc-Phase mit Stipendien oder sind befristet angestellt. Da erscheint vielen ein Job in der Wirtschaft als die bessere Alternative. Nicht so in anderen Ländern: „In Frankreich, wo Wissenschaftler schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt – nach der Promotion – eine Festanstellung erhalten können, ist zum Beispiel der Frauenanteil unter den Physikerinnen deutlich höher“, sagt Daniela Pfannkuche.

Und lassen sich junge Forscherinnen mit Kind von dieser Planungsunsicherheit nicht abschrecken und arbeiten auf eine Professur hin, müssen sie oft damit zurechtkommen, Lehrveranstaltungen auch jenseits familienfreundlicher Zeiten von neun bis 16 Uhr wahrzunehmen. Etlichen männlichen Kollegen sei dieses Problem bisher nicht bewusst, hört man von jungen Forscherinnen. An Teilen der Universität wird allerdings schon versucht, gegenzusteuern. So verfügt etwa jedes von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Verbundprojekt – darunter die beiden Exzellenzcluster CliSAP und CUI – über finanzielle Mittel, um junge Wissenschaftlerinnen so zu unterstützen, dass sie Beruf und Familie besser vereinbaren können.

An bestimmten Vorbehalten dürften diese Maßnahmen aber nichts ändern. Sie erlebe an der naturwissenschaftlichen Fakultät zwar „eine der Gleichstellung und der Förderung von Beruf und Karriere gegenüber sehr offene Atmosphäre“ sagt Daniela Pfannkuche. In Berufungsausschüssen, die über die Besetzung von Spitzenpositionen entscheiden, habe sie jedoch schon öfter erlebt, dass zwar die „wissenschaftlichen Leistungen von Bewerberinnen generell uneingeschränkt anerkannt und geschätzt werden“, dass ihnen Führungsqualitäten und die Entwicklung von Visionen aber oft „in etwas geringerem Maße“ zugetraut würden als männlichen Konkurrenten.