Der Chef der Konzernsicherheit der Deutschen Bahn, Gerd Neubeck, will 500 neue Wachleute einstellen, verlangt aber auch Zivilcourage.

Hamburg. Der Geschäftsmann Dominik Brunner wird auf einem Münchner S-Bahnhof von Jugendlichen zu Tode geprügelt. Auf dem S-Bahnhof Jungfernstieg kommt es zu einer tödlichen Messerstecherei: Angesichts solcher Gewalttaten aus den vergangenen Jahren will die Deutsche Bahn jetzt die Sicherheit in Zügen und Bahnhöfen erhöhen. Der Chef der Konzernsicherheit, Gerd Neubeck, über mehr Wachleute, den Sinn von Überwachungstechnik und Zivilcourage.

Hamburger Abendblatt:Erst vor wenigen Tagen wurde auf dem Hamburger Hauptbahnhof ein Mann von Betrunkenen verprügelt und ausgeraubt. Wie wollen Sie gewährleisten, dass die Reisenden auf den Bahnhöfen sicher sind?

Gerd Neubeck: Die totale Sicherheit kann es nicht geben, Sie können nicht hinter jeden Reisenden einen Wachmann stellen. Alle Statistiken zeigen, dass aber die Bahn schon heute viel sicherer ist als große Teile des öffentlichen Raums. Hamburg zählt rund 60 Körperverletzungen pro Tag, bei der S-Bahn gibt es nur rund 220 im Jahr. Aber wir wollen die Zahl der Straftaten weiter reduzieren. Deshalb stockt die Deutsche Bahn das Sicherheitspersonal jetzt deutlich auf.

Was heißt das konkret für Hamburg?

Neubeck: Bundesweit soll die Zahl der Sicherheitskräfte in diesem Jahr von 3200 auf 3700 steigen. In Hamburg sollen zu den 220 Mitarbeitern noch einmal mindestens 50 hinzukommen. Teilweise laufen die Einstellungen bereits.

Ihre Konkurrenz, die Hamburger Hochbahn, beschäftigt allein für die U-Bahn 260 Sicherheitskräfte, Sie kommen für S-Bahn und Regionalbahnen in Hamburg nach der Aufstockung gerade mal auf zehn Kräfte mehr. Klingt nicht so, als wenn das reichen würde.

Neubeck: Es kommt nicht allein auf die Anzahl der Sicherheitskräfte an, sondern auf die Sicherheitslage bei der Bahn. Und ich kann nur wiederholen, die ist besser als gemeinhin bekannt. Außerdem geht es nicht nur darum, allein die Sicherheitskräfte zu verstärken, sondern auch darum, sie gezielter als bisher einzusetzen. Ähnlich wie die Polizei erheben wir ein Lagebild und planen danach die Einsätze. Zwei Drittel aller Körperverletzungen finden beispielsweise nach Fußballspielen oder Konzerten statt. Da müssen wir vermehrt präsent sein. Wir sind auch nicht nur alleine unterwegs. Die Bundespolizei setzt in Deutschland über 5000 Beamte ein. Das ist eine sehr gut funktionierende Partnerschaft.

Wo genau in Hamburg wollen Sie denn mehr Sicherheitskräfte einsetzen?

Neubeck: Flächendeckend haben wir bereits die Präsenz in der Nacht verstärkt. In jedem S-Bahn-Zug fahren mittlerweile beispielsweise an Wochenenden ab 23 Uhr zwei Sicherheitskräfte mit. An diese können sich die Fahrgäste wenden, wenn sie sich unsicher oder bedroht fühlen.

Und an welchen Stationen sollen noch Sicherheitskräfte hinzukommen?

Neubeck: An Brennpunkten wie dem Hauptbahnhof, an der Reeperbahn und in Harburg wollen wir die Wachleute verstärken.

Bislang scheint Ihr Sicherheitskonzept aber nicht zu greifen. Im Jahr 2009 gab es rund 11 000 Körperverletzungen auf deutschen Bahnhöfen, im vergangenen Jahr laut Bundespolizei noch etwas mehr. Auch in Hamburg hat die Zahl der Straftaten zugenommen.

Neubeck: Unser Konzept greift durchaus. Die Bahn befördert pro Jahr so viele Kunden wie die Bevölkerungen von China und Indien zusammen ergeben: 2,7 Milliarden. Dagegen stehen 11 000 Körperverletzungen. Bei uns können sich die Kunden sicher fühlen.

Viele Fahrgäste empfinden dies subjektiv aber anders. Insbesondere auf den abgelegenen Stationen beschleicht viele ein mulmiges Gefühl.

Neubeck: Um das subjektive Sicherheitsgefühl zu verbessern, muss man an mehreren Punkten gleichzeitig ansetzen. Die Bahnhöfe müssen hell und freundlich sein. Die Architektur spielt hier neben der Präsenz der Mitarbeiter eine große Rolle. Daher sind wir ständig im Gespräch mit anderen Konzernteilen, um die Sicherheit in diesem umfassenden Sinn zu verbessern.

Viele Fahrgäste hätten gern die Möglichkeit, in der S-Bahn von einem Waggon in den anderen zu wechseln, um einer bedrohlichen Situation zu entgehen. Was ist hier geplant?

Neubeck: Bei Neubestellungen von Waggons versuchen wir solche Wünsche zu berücksichtigen. Bislang gibt es immerhin die Möglichkeit, die Waggons von den anderen Wagen her einzusehen. Das gibt auch schon ein Stück Sicherheit, potenzielle Täter können sich so nicht unbeobachtet fühlen. Zusätzlich kann von jedem Wagen aus Kontakt zum Lokführer hergestellt werden.

Wollen Sie auch die Zahl der Überwachungskameras in Bahnhöfen und Zügen erhöhen?

Neubeck: Neben der stärkeren Präsenz der Mitarbeiter setzen wir auch auf einen Ausbau der Technik. In Hamburg sind wir mit mehr als 860 Überwachungskameras aber schon gut aufgestellt. Grundsätzlich sind aus meiner Sicht Menschen wichtiger als Kameras, Kameras können schließlich in einer bedrohlichen Situation nicht helfen. Das können nur die Mitarbeiter.

Wäre es nicht auch sinnvoll, die Bahnsteige mit Schranken wie in Paris zu versehen, um von vornherein den Zugang ohne Fahrkarte zu verhindern?

Neubeck: Es gibt immer wieder Überlegungen ein solches System auf einer Linie versuchsweise zu testen. Es wäre interessant zu sehen, welche Formen der Kriminalität sich dadurch verändern. Ob sich bei 5700 Bahnhöfen in Deutschland die Einführung eines geschlossenen Systems aber wirklich lohnt, müsste sich zeigen, auch wegen der gewaltigen Investitionen und Folgekosten, die damit verbunden wären.

Viele Straftaten werden in alkoholisiertem Zustand begangen. Was halten Sie von einem generellen Alkohol-Verbot auf den Bahnhöfen und in Zügen?

Neubeck: Das hielte ich für unverhältnismäßig, weil von einer solchen Maßnahme auch all die Reisenden betroffen wären, die verantwortungsvoll mit Alkohol umgehen. Außerdem kann man damit nicht verhindern, dass Menschen, die bereits betrunken sind, in einen Zug steigen. Wollte man dies auch noch unterbinden, dann müsste man Alkohol-Tests wie im Straßenverkehr durchführen, das ist aber überhaupt nicht zu leisten. Auch muss man die Frage stellen, wie denn die Reisenden dann nach Hause kommen sollen. Angetrunken im Auto? In Hamburg gibt es zurzeit einen Prüfauftrag, der diese Aspekte beleuchtet. Jetzt müssen wir die Ergebnisse abwarten und dann entscheiden.

Inwieweit setzen Sie in ihrem Sicherheitskonzept auch auf die Zivilcourage der Reisenden?

Neubeck: Zivilcourage kann man nicht befehlen, wir können da nur Handlungsempfehlungen geben. Die Reisenden sollten sich eine bedrohliche Situation genau anschauen und wenn möglich helfen. Niemand soll sich aber allein gegen eine Horde Rowdys stellen. Oft hilft es schon, laut zu rufen und damit deutlich zu machen, dass die Situation beobachtet wird.

Zuviel Zivilcourage kann aber auch selbstmörderisch sein. Der Münchner Geschäftsmann Dominik Brunner musste sein Eingreifen mit dem Tod bezahlen.

Neubeck: Der Fall Dominik Brunner ist tragisch, er hat sicherlich sehr viel mehr getan, als das, was ich eben dargestellt habe. Was ich aber von jedem Reisenden erwarte, ist, dass er Hilfe holt. Fast jeder hat heute ein Handy, es gibt Notrufeinrichtungen in den Zügen und auf den Bahnsteigen. Wir dürfen nicht zu einer Gesellschaft von Wegguckern werden.

Neben den Übergriffen auf Reisende ist auch immer wieder vom Diebstahl von Oberleitungen oder ganzen Schienen in Deutschland zu hören. Wie groß sind die Schäden?

Neubeck: Die Zahl der Buntmetalldiebstähle hat im vergangenen Jahr wegen der hohen Rohstoffpreise dramatisch zugenommen. Das reicht von Signalkabeln, über Oberleitungen bis hin zu ganzen Gleisen. Der Schaden entsteht dabei vor allem durch Zugausfälle und Verspätungen, die durch die notwendigen Reparaturarbeiten verursacht werden. Das kostet jedes Mal mehrere hunderttausend Euro und viele verärgerte Kunden.