Werftchef Peter Sierk spricht im Interiew über die Überlebenschancen der Branche, Kreditverhandlungen und den Umweltschutz auf See.

Flensburg. Den Schiffbauern im Norden Schleswig-Holsteins ist die Spezialisierung auf Frachtfähren gelungen. Die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) ist in ihrem Bereich weltweiter Marktführer. Das Abendblatt sprach mit Werftchef Peter Sierk, 45, über seine weitere Strategie, die Rolle der Banken und die Chancen für neue Aufträge.

Hamburger Abendblatt: Seit drei Jahren geht es bei den Belegschaften auf den Werften nur noch bergab. Welche Zukunft hat der Schiffbau oder ist die Branche mit gut 16 000 Beschäftigten schon zu klein, um noch eine Rolle zu spielen?

Peter Sierk: Der Trend zur Konsolidierung in der Branche wird anhalten. Daher rechne ich damit, dass bis 2015 noch drei bis vier weitere Schiffbauer aufgeben müssen. Der Wettbewerb ist bretthart. Alle haben wenig zu tun und bieten daher überall mit. Vor allem Werften, die verschiedene Prototypen anbieten, gehen ein hohes Risiko ein. Verschiedene Technologien im Griff zu haben und bei jedem Neubau Geld zu verdienen, ist eine nur schwer lösbare Aufgabe. Bei der Flensburger Schiffbaugesellschaft bauen wir Fähren, weil wir das Konzept im Griff haben. Marineschiffe, Offshore- oder Expeditionskreuzfahrer gehen wir nur mit erfahrenen Kooperationspartnern an.

Welche Strategien versprechen Erfolg gegen die Übermacht aus Fernost?

Sierk: Den Bau von Standardschiffen kann man für Deutschland vergessen. Da sind Koreaner und Chinesen immer günstiger. Heute kommt es darauf an, Schiffe mit dem Kunden zu entwickeln. Dazu muss die Werft in der Lage sein, die Ideen der Reeder umzusetzen. Hat man ein Projekt gemeinsam entwickelt, wird ein Reeder die Werft kaum mehr wechseln. Dann spielt auch der Preis nicht mehr die entscheidende Rolle.

Braucht der Schiffbau daher noch mehr Ingenieure?

Sierk: In jedem Fall. In Flensburg kommen heute auf 500 Werker 100 Ingenieure. Das ist ein gutes Verhältnis. Zusätzliche Kräfte von Ingenieurbüros sind nicht nötig. Dieses Verhältnis wird sich aber bei allen Betrieben weiter zugunsten der Ingenieure verändern.

Um Ingenieure werben alle Unternehmen. Wieso sollen sie im Schiffbau anfangen und noch dazu in Flensburg?

Sierk: Die beste Möglichkeit für die Werften ist, junge Leute über Diplomarbeiten oder Promotionen kennenzulernen. Aus unserem Betrieb wurden zudem fünf Professoren an Universitäten und Hochschulen berufen. Das erleichtert die Suche nach Nachwuchs. So kommen gute Studenten zu uns.

Engagieren sich Bund und Küstenländern genug für die Branche?

Sierk: Vor allem die Landesregierung in Schwerin ist ein Vorbild. Aber auch in den vier westdeutschen Küstenländern sind die Werften ein wichtiges Thema.

Aber die Vergabe öffentlicher Aufträge ist doch eher zögerlich?

Sierk: Tatsächlich wurde in der Krise keine Bestellung des Bundes vorgezogen, um die Werften zu stabilisieren. Auch die Vergabe des neuesten Forschungsschiffes "Sonne" hat sich fast über ein Jahr verzögert. Solche Prozesse ließen sich sicher beschleunigen.

Wie wirkt sich die Zurückhaltung der Banken bei der Finanzierung von neuen Aufträgen aus?

Sierk: Verheerend. Die Strategie der Banken wird einer der Hauptgründe für künftige Zusammenbrüche sein. Bei Anzahlungen von zehn Prozent brauchen Werften Kredite, um ihre Kosten während der Bauzeit finanzieren zu können. Wie schwierig es ist, solche Darlehen zu bekommen, zeigt unsere Situation. In Flensburg gibt es für die gut 700 Mitarbeiter Beschäftigung und die Werft schreibt schwarze Zahlen. Dennoch haben wir ein Jahr gebraucht, um eine Kreditlinie von 40 Millionen Euro für 2012 zu erhalten. Nur die schwedische SEB Bank und die bundeseigene KfW-Banktochter, KfW-Ipex, waren bereit, diese Bauzeitfinanzierung zu übernehmen. Deutsche Geschäftsbanken wollten keine Zusagen geben. Das finde ich erschreckend.

Die FSG hat sich 1998 auf Roll-on/Roll-off-Fähren für Pkw und Lkw konzentriert. Wie schafft man es dann bis hin zum Weltmarktführer in dieser Nische? Marktanalyse, Arbeitsweise, Termintreue oder einfach Glück?

Sierk: Wir haben uns als einer der Ersten auf eine Marktnische konzentriert und uns von der Strategie nicht durch den kurzfristigen Boom bei den Containerfrachtern zwischen 2005 und 2008 abbringen lassen.

Allein das kann es aber doch nicht gewesen sein?

Sierk: Nein. Unsere Marktanalyse damals ergab, dass die weltweite Flotte überaltert war und großer Bedarf für Fähren bestand. Außerdem gab es wenig Konkurrenz, weil jährlich nur knapp 30 Fähren gegenüber Hunderten von Containerfrachtern und Massengutschiffen bestellt werden. Unseren ersten Entwurf hat dann die damals völlig unbekannte türkische UND-Reederei gekauft. Dass sie sich zur siebtgrößten europäischen Reederei für Frachtfähren entwickeln würde, war ein riesiges Glück. Weil UND immer wieder neu bestellte, konnten wir unsere Typen weiterentwickeln. So wurden große Kunden wie die dänische DFDS oder Cobelfret in Belgien auf uns aufmerksam. Seit 1998 haben wir 39 Fähren abgeliefert - immer termingerecht. Die Schiffe brauchen etwa 30 Prozent weniger Treibstoff und haben bis zu 20 Prozent mehr Stellflächen als die Konkurrenz. Die FSG fertigt nicht zu Billigpreisen, aber dieser Nachteil wird durch die Ersparnis bei den Spritkosten nach zwei Jahren kompensiert. Das sind die Gründe dafür, dass heute 30 Prozent aller neuen Roll-on/Roll-off-Frachtfähren in Flensburg gebaut werden.

Können die Asiaten nicht mithalten?

Sierk: Bislang nicht, aber eine chinesische und eine koreanische Werft sind bereits unsere schärfsten Konkurrenten. Die Koreaner haben einen unserer Entwürfe antizipiert und zehn Schiffe an die italienische Reederei Grimaldi verkauft. Diese Schiffe werden nun bis Ende des kommenden Jahres fertig und führen dazu, dass zu viel Kapazität angeboten wird. Andere Reedereien halten sich mit Neubestellungen zurück. Keine guten Zeiten für neue Aufträge.

Wie lange reicht der Bestand in Flensburg noch?

Sierk: Bei sieben Schiffen und einer Produktion von drei Fähren pro Jahr ist die Belegschaft bis Oktober 2013 ausgelastet. Derzeit bearbeiten wir mehr als 30 Projekte im Vertrieb. Bei vier Reedereien haben wir verbindliche Angebote abgegeben und warten auf deren Entscheidung. Wir sind aber optimistisch, dass bis zum Mai der nächste Auftrag unterzeichnet werden kann. Dieser würde sich in der Fertigung direkt an unseren neuesten Auftrag für eine kanadische Reederei anschließen und die Beschäftigung so bis ins erste Quartal 2014 sichern.

Die Fähre für Kanada ist auf die neuesten Bestimmungen der Internationalen Schifffahrtsorganisation ausgelegt, durch die auf See vor allem weniger Schwefel aus den Schornsteinen geblasen werden soll. Eine Chance für Aufträge?

Sierk: Die Reeder können ihre bis zu 30 Jahre alten Schiffe nachrüsten oder neu bestellen. Die zweite Variante erscheint logischer, weil neue Fähren weniger Treibstoff verbrauchen. Die FSG bietet zusammen mit einem Unterlieferanten eine Abgasentschwefelungsanlage an, in der der Schwefel mit einem Granulat zu Gips gebunden wird. Dieser Gips kann in der Bauindustrie eingesetzt werden. Mit dem 350 Tonnen schweren Aggregat werden also die Umweltauflagen erfüllt. Da rechnen wir uns schon Chancen für neue Bestellungen aus.

Wenn Sie für die Branche und für die FSG zwei Wünsche frei hätten. Wie würden die lauten?

Sierk: Die Branche muss ihre Marktnischen finden, sonst bleiben nur einzelne Betriebe übrig. Das wäre auch für die etablierten Werften nicht gut. Für Flensburg brauchen wir weiter den Zusammenhalt in der Belegschaft. Unsere Ingenieure und Facharbeiter wollen stets ein gutes Schiff abliefern. Dieser Geist macht eine erfolgreiche Werft aus.