Seit Freitagabend waren mehrere Tausend Menschen in den Tunnel gekommen. Sie legten dort Blumen nieder und zündeten Kerzen an.

Duisburg. Der Jahrestag der Loveparade-Katastrophe von Duisburg ist am Sonntag mit einem stillen Gedenken von Angehörigen der Opfer am Unglücksort zu Ende gegangen. Sie waren nach der öffentlichen Gedenkveranstaltung in der MSV-Arena mit Bussen zu dem Tunnel gebracht worden, in dem sich am 24. Juli vergangenen Jahres die Massenpanik mit 21 Toten entwickelt hatte.

Eineinhalb Stunden lang hatte dort niemand sonst Zutritt, damit die Angehörigen in aller Stille trauern konnten. Sie wurden von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und mehreren Notfallseelsorgern begleitet.

Eine junge Frau ringt immer wieder um Fassung. Sie weint, als sie bei der zentralen Gedenkfeier ihre Erinnerungen und Gefühle in Worte fasst. Ella Seifer hat das Unglück am 24. Juli vergangenen Jahres schwer verletzt überlebt. «Ich schätze jeden Tag, den ich hier bin», sagt sie und kämpft erneut mit den Tränen: «Es ist schlimm, dass 21 Menschen wegen Fehlern bei der Veranstaltungsplanung nicht mehr da sind.»

Den Opfern der Katastrophe gedachten am Sonntagnachmittag im Stadion des MSV Duisburg etwa 7.000 Menschen in einer bewegenden Veranstaltung – darunter die Angehörigen, Notfallseelsorger sowie Rettungskräfte. «Meine Freunde und ich, wir waren gut gelaunt, weil wir endlich wieder feiern konnten», erinnert sich Seifer, die sich plötzlich mitten im Chaos sah. «Ich fühlte mich eingeengt, ich bekam Panik, ich merkte, dass ich mir selbst nicht mehr helfen konnte.» Geschrien habe sie. «Ich konnte nicht mehr atmen, konnte nichts mehr sehen, mich nicht bewegen.» Später sollte sie erfahren, dass Menschen gestorben seien. Unvorstellbar sei das Geschehene gewesen - für die meisten bis heute.

So sind Fassungslosigkeit, Wut, Enttäuschung auch noch ein Jahr nach dem Unglück deutlich spürbar, vor allem aber Trauer. Isabel Astor kann und will nicht vergessen, was geschehen ist. Die 17-jährige Duisburgerin nimmt deshalb an der Gedenkfeier teil, begleitet von ihrer Tante. «Ich war selbst dort, allerdings nicht mittendrin», erzählt sie.

Die Tragödie um die Loveparade betreffe die gesamte Stadt. «Was da passiert ist, darf nicht in Vergessenheit geraten», sagt sie. Selbst dann nicht, wenn die Erinnerung wehtut. «Es war eine schreckliche Zeit», sagt auch Isabels Tante. Ihren Namen möchte die 49-Jährige nicht nennen – sie ist städtische Angestellte und hat ein «zwiegespaltenes Verhältnis» zur Verwaltung. Deren Spitze stehe sie kritisch gegenüber, auf der anderen Seite aber wisse sie, dass ihre Kollegen ein solches Desaster nie verursachen würden.

Sie fühle mit den Angehörigen, doch sie fühlt auch mit einigen Verwaltungsmitarbeitern, gegen die die Staatsanwaltschaft nun ermittelt. Für die 49-Jährige ist das ein emotionaler Spagat, der sie mitnimmt und aufwühlt. Nach ihrer Ansicht hat die Stadtspitze bei der Genehmigung der Loveparade gravierende Fehler gemacht.

Isabel und ihre Tante suchen sich einen Platz im Stadion, verfolgen von dort aus die Gedenkfeier im Stadion. Neben Gebeten, Reden und berührenden Worten von Betroffenen sorgt auch die Musik für einen würdevollen Rahmen. Es erklingen die verschiedene Poplieder – unter anderem «With a little helf from my friends». Zudem tritt «Der Graf», Frontmann der Band Unheilig auf, und singt seinen Song «Geboren, um zu leben».

Nach etwa anderthalb Stunden endet die Gedenkfeier mit einem Techno-Stück. Die Angehörigen verlassen das Stadion, fahren zum Tunnel an der Karl-Lehr-Straße, dem Ort, wo vor einem Jahr 21 Menschen starben und über 500 verletzt wurden. Auch dort herrscht den ganzen Tag über tiefe Trauer. Hunderte Menschen legen trotz Regens Blumen nieder und zünden Kerzen an. Einigen stehen Tränen in den Augen, andere trösten sich gegenseitig, indem sie sich in den Arm nehmen. Mehrere Notfallseelsorger stehen mit Rat zur Seite.

Auch ein Jahr nach der Katastrophe macht sich am Ort des Geschehens weiter Fassungslosigkeit breit. Immer wieder schütteln Trauernde ihren Kopf, in Gesprächen lassen Teilnehmer der Loveparade die schlimmen Erlebnisse noch einmal Revue passieren. Am Rand der Rampe, die zum Festivalgelände geführt hatte, wird ein «Steinhaufen der Erinnerung» errichtet – daneben liegen Fotos, Kuscheltiere, Blumen und Kränze. Auf den Stufen der Treppe, über die bei der Massenpanik einige Besucher noch entkommen konnten, stehen 21 Holzkreuze, stellvertretend für jeden Toten. Entlang des dunklen Tunnels bilden rote Grabkerzen einen langen Spalier. Dazwischen liegen Kondolenzbücher.

Der Unglückstunnel, der vor einem Jahr zum tödlichen Nadelöhr geworden war, wurde aus Rücksicht auf die Trauernden für den Verkehr gesperrt. Nach der Gedenkfeier in der MSv-Arena kommen auch die Angehörigen hierhin, um noch einmal den Ort zu besuchen, wo ihre Kinder starben.

(dpa/dapd/abendblatt.de)