Die Polizei hatte ihm in einem Verhör mit Folter gedroht. Jetzt muss das Land Hessen 3000 Euro Entschädigung an Magnus Gäfgen zahlen.

Frankfurt/Main. Der heute 36-jährige Magnus Gäfgen entführte und ermordete den Bankierssohn Jakob von Metzler vor neun Jahren. Wegen der ihm damals angedrohten Folter während eines Polizeiverhörs muss das Land Hessen nun seiner Entschädigungsforderung nachkommen und 3000 Euro zahlen. Dies entschied das Landgericht in Frankfurt am Donnerstag. Ursprünglich hatte Gäfgen 10.000 Euro und einen Schadenersatz in unbekannter Höhe verlangt mit der Argumentation, er leide wegen der Drohungen unter psychischen Spätfolgen.

Der Anwalt des Kindsmörders, Michael Heuchemer, hat die Entscheidung des Frankfurter Landgerichts für eine Entschädigung zugunsten seines Mandanten begrüßt. Der Richterspruch verdeutliche, dass die Verletzung von Menschenrechten auch Folgen haben müsse, sagte der Jurist am Donnerstag dem Fernsehsender n-tv. "Sicherlich wäre Freude oder so etwas das falsche Wort am heutigen Tag.“ Das Urteil sei aber "ein wichtiges Signal für die Menschenrechte“.

Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete das Urteil als "emotional nur sehr schwer erträglich“, es müsse aber unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit geschluckt werden. Bei der Opferhilfe-Organisation "Weißer Ring“ stieß das Urteil hingegen auf völliges Unverständnis: "Es rührt sehr stark an dem Rechtsempfinden der Menschen.“

Die Folterdrohung sei eine schwere Verletzung der Menschenwürde Gäfgens, "die nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann“, begründete der Vorsitzende Richter Christoph Hefter das Urteil. "Das Verbot der Folter gilt absolut und duldet keine Ausnahme.“ Und: "Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben.“

Mit der vom damaligen Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang Daschner angeordneten – und vom Innenministerium gebilligten - Schmerzandrohung habe die Polizei in das höchste Verfassungsgut eingegriffen. Und zwar "planvoll, vorsätzlich, in Kenntnis der Rechtswidrigkeit und in der Gefahr der Unverwertbarkeit der Aussage“. Das Verhalten der Beamten nannte Hefter in seiner rund 45minütigen Begründung "rechtswidrig und verwerflich“. Daschner habe einen Untergebenen zur Nötigung im Amt verleitet. Die Schmerzen seien zudem nicht nur angedroht worden, sondern "auch die Durchführung einer entsprechenden Behandlung vorbereitet worden“.

Die Kammer stützte ihre Entscheidung auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte die Folterandrohung im Juni 2010 als "unmenschliche Behandlung eingestuft“ und eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtkonvention gerügt. "3000 Euro sind notwendig, angemessen und ausreichend“, betonte Hefter. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Polizei Gäfgen – wie von diesem behauptet – geschlagen, ihm mit sexueller Gewalt im Gefängnis gedroht oder einen Verteidiger vorenthalten habe. "Der Eingriff dauerte nur etwa zehn Minuten und hinterließ beim Kläger keine bleibenden Schäden“, sagte der Richter über die Höhe der Entschädigung.

Der verurteilte Mörder, der im nordhessischen Schwalmstadt sitzt, habe auch nicht beweisen können, dass seine behauptete Traumatisierung auf das Verhör zurückzuführen sei. Dafür können nach Ansicht des Gerichts auch andere Gründe ausschlaggebend sein. So habe Gäfgen den Tod des Jungen miterlebt. Außerdem sei klar geworden, dass sein auf Lügengeschichten und Luftschlössern basierendes Selbstbild zusammengebrochen und sein Leben an die Wand gefahren sei.

Die Aussagen von Daschner und dem Beamten, der in seinem Auftrag die Folter angedroht hatte, schätzte das Gericht als glaubwürdig ein. Es sei unbestritten, dass es Kontakte ins Innenministerium gab, wer die Kontaktperson genau war, sei letztlich unerheblich. Es gebe aber auch keine Zweifel an Daschners Aussage. Gäfgen hatte ihn erst kürzlich wegen angeblicher Falschaussage angezeigt.

Es ging Daschner und dem Polizisten nicht um eine zielgerichtete Erniedrigung Gäfgnes, sondern "sie hofften unablässlich, dass der Junge noch lebte“, stellte die Frankfurter Kammer fest. "Der besondere Druck darf ihnen zugute gehalten werden.“

Das Gericht hatte vor der Urteilsverkündung einen Befangenheitsantrag von Gäfgens Anwalt als unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen. Der Antrag sei gestellt worden, um das Gericht zu zwingen, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Gäfgens Anwalt hat dagegen bereits Beschwerde eingelegt.

Auch das Strafverfahren gegen Gäfgen könnte möglicherweise noch einmal aufgerollt werden. Dem Landgericht Darmstadt liegt seit geraumer Zeit ein Wiederaufnahmeantrag vor. Wann darüber entschieden werde, sei aber noch nicht klar, sagte ein Sprecher. Der Antrag beruft sich auf das EGMR-Urteil. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt lehnt eine Wiederaufnahme des Prozesses allerdings ab. Der Gerichtshof habe dies selbst ausgeschlossen und das Verfahren gegen Gäfgen als fair bewertet. (dpa)