Kindesmörder Gäfgen wurde rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotzdem bemüht er sich hartnäckig um Wiederaufnahme des Falls.

Frankfurt/Karlsruhe. Knapp neun Jahre ist es her, dass Magnus Gäfgen den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und ermordet hat. Die gegen Gäfgen verhängte lebenslange Haft ist längst rechtskräftig, doch aus dem Gefängnis heraus klagt sich der studierte Jurist weiter durch alle Instanzen.

Am Donnerstag steht die nächste Urteilsverkündung an: Vor dem Landgericht Frankfurt verlangt Gäfgen vom Land Hessen 10.000 Euro Schmerzensgeld wegen der Folterandrohung während des Polizeiverhörs nach seiner Festnahme. Ohne eine Miene zu verziehen, setzte sich der Kindsmörder beim Prozessauftakt selbst als Opfer in Szene. Im weißen Hemd schilderte der 35-Jährige, wie er während des Verhörs damals "Angst und Hilflosigkeit“ verspürt habe. Auf die empörten Zwischenrufe aus dem Publikum ging er nicht ein.

Die Gewaltandrohung ist im Grunde sein großer Trumpf. Schon während des Mordprozesses vor dem Frankfurter Landgericht 2003 drohte sein damaliger Anwalt mit einer Verfassungsbeschwerde. "Sollte Karlsruhe mir recht geben, ist Magnus in drei Jahren frei und hat Anspruch auf Haftentschädigung“, wird der Jurist in einem "Focus“-Interview zitiert. So weit kam es indes nicht, Gäfgen sitzt weiter in Haft.

Der damalige Jurastudent hatte das Kind am 27. September 2002 entführt und in seiner Wohnung erstickt. Kurz nach der Lösegeldübergabe wurde er festgenommen; Gäfgen sagte aber nichts über den Aufenthaltsort des Jungen, sondern brachte angebliche Komplizen ins Spiel und lockte die Polizei auf falsche Fährten. Die Beamten dachten damals, der Elfjährige lebe noch und sei in höchster Gefahr. Um den Jungen zu retten, drohte der Vernehmungsbeamte Magnus Gäfgen schwere körperliche Gewalt an. Daraufhin führte dieser die Polizei zur Leiche des Jungen.

Gang nach Karlsruhe und Straßburg

Das Landgericht machte damals klar, dass die unter Gewaltandrohung erlangte Aussage im Prozess nicht verwertet wird. Doch der Jurastudent wiederholte vor Gericht unter Tränen sein Geständnis, äußerte in seinem Schlusswort tiefes Bedauern. Doch es half ihm alles nichts: Die Kammer verurteilte ihn zu lebenslanger Haft und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest, die eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausschließt. Seitdem sitzt Gäfgen im Gefängnis im nordhessischen Schwalmstadt, hat in Haft sein Jurastudium abgeschlossen – und bemüht sich hartnäckig um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens. Bislang vergebens, doch so leicht lässt der Kindsmörder nicht locker.

Sein Anwalt argumentiert, dass auch die Beweismittel unter Zwang erlangt worden seien und deshalb ebenfalls nicht hätten zugelassen werden dürfen. Gäfgen habe kein faires Verfahren gehabt. Für die Familie des Opfers ist der Gedanke an die immer neuen Verfahren eine Qual. Sie will nur eines: Endlich zur Ruhe kommen.

Aber der damalige Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner verletzte das auch für Schwerverbrecher geltende absolute Folterverbot, denn auch deren Androhung ist rechtswidrig. Deshalb gibt es nicht nur einen Mordfall von Metzler, sondern auch einen Fall Gäfgen, und der beschäftigt weiter die Justiz.

2004 bestätigte der Bundesgerichtshof das Frankfurter Strafurteil, worauf Gäfgen Verfassungsbeschwerde einlegte. Nachdem die keinen Erfolg hatte, rief der Verurteilte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg an.

Befangenheitsantrag in Frankfurt

Sein Ziel war auch hier die Feststellung, dass die Folterandrohung sein Recht auf ein faires Verfahren verletzte. Im Juni 2008, rund sechs Jahre nach der Ermordung Jakob von Metzlers, lehnte der Straßburger Gerichtshof die Beschwerde Gäfgens ab. Die Folterandrohung sei zwar menschenrechtswidrig gewesen, aber Polizeivizepräsident Daschner sei ja deshalb strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden, so dass Gäfgen nicht mehr Opfer der Menschenrechtsverletzung sei. Da sein durch Folterandrohung erzwungenes Geständnis beim Strafprozess nicht verwertet wurde, sei das Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt.

Gäfgen ging daraufhin vor die Große Kammer des Gerichtshofs. Dort erzielte er 2010 einen Teilerfolg. Der EGMR bejahte in seinem zweiten Urteil einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Die Folterandrohung habe gegen das Verbot erniedrigender Behandlung verstoßen. Gäfgen könne sich darauf auch weiterhin berufen, denn Polizeivizepräsident Daschner habe nur eine geringe Geldstrafe erhalten. Aber das Hauptziel eines neuen Strafverfahrens erreichte Gäfgen in Straßburg nicht. Das faire Verfahren wurde auch nach Ansicht der Großen Kammer nicht verletzt, da Gäfgens ursprüngliches Geständnis nicht verwertet worden war.

Vor dem Urteil am Donnerstag hat Gäfgen indes noch einen Befangenheitsantrag gegen die Richter gestellt. (dapd)