Zehn Stunden war die Gattin eines Wiesbadener Bankangestellten in der Gewalt des Entführers. Sie wollte ihn sogar erschießen.

Wiesbaden. Prozess gegen den Schwerverbrecher Thomas Wolf: Mehrmals muss Susanne S. mit den Tränen kämpfen, als sie am Mittwoch über die zehn längsten Stunden ihres Lebens spricht: Vor zwei Jahren überfiel der Schwerverbrecher Thomas Wolf die Frau eines leitenden Wiesbadener Bankangestellten in ihrem Haus, schüchterte sie mit einer Pistole ein und zwang sie, in sein Auto zu steigen. 1,8 Millionen Euro erpresste der heute 58-Jährige von ihrem Mann. Abends entkam Susanne S., äußerlich weitgehend unverletzt. Doch bis heute ist sie in psychotherapeutischer Behandlung, wie die 45-Jährige vor dem Wiesbadener Landgericht sagte.

Wolf ist dort wegen der Entführung und zweifachen Bankraubs angeklagt. Susanne S. tritt als Nebenklägerin auf. „Ich hatte Todesangst“, sagte sie. „Für mich war von der ersten Sekunde an klar, dass ich diesen Tag nicht überleben würde.“ Der damals international gesuchte Wolf lebte vor der Tat jahrelang unerkannt in Frankfurt. Erst am Dienstag hatte er in dem Prozess geschildert, dass ihm nach seinem letzten Bankraub das Geld ausgegangen war und er ohne Papiere keine Arbeit fand. Ein erster Entführungsversuch sei gescheitert. Doch am 27. März 2009 klappte es.

Susanne S. berichtete von dramatischen Szenen zwischen ihr und ihrem Entführer. Zu Beginn habe sie Wolf bei einem Gerangel in ihrem Haus die Waffe abnehmen können, sie auf ihn gerichtet und abgedrückt. Dass es sich nur um eine offenbar ungeladene Luftpistole handelte, habe sie nicht erkannt, sagte die 45-Jährige. Außer einem „Klick“ sei deshalb auch nichts passiert. Doch die Erinnerung verfolge sie bis heute: „Ich dachte, ich würde nie einen Menschen erschießen können.“ Nach dem Vorfall sei sie weiter davon ausgegangen, dass es sich um eine scharfe Pistole gehandelt habe.

Auch die Erinnerung an eine ungenutzte Fluchtmöglichkeit quäle sie, sagte sie. Die Fahrt in Wolfs Auto führte zunächst Richtung Würzburg, es folgte ein mehrstündiger Halt im unterfränkischen Schwarzach. Zwischendurch musste sie ihren Mann anrufen und das Lösegeld verlangen. Später hielt Wolf an einem Waldweg, stieg aus und ließ die Schlüssel stecken. Trotz Fußfesseln gelangte sie auf den Fahrersitz, doch sie schaffte es in dem fremden Auto nicht, in den Rückwärtsgang zu schalten, berichtete die 45-Jährige.

Abends fesselte Wolf die Frau an einen Baum in der Nähe einer Autobahnbrücke und holte das Lösegeld, dass der Mann seines Opfers dort deponiert hatte. Susanne S. konnte sich schließlich selbst befreien. Es vergehe bis heute kein Tag, an dem sie nicht an die Entführung denken müsse: „Mein Leben wird nie wieder so sein wie vorher.“ Ihren Beruf als Angestellte beim Passagierservice der Lufthansa habe sie aufgeben müssen.

Die Zeit in Wolfs Gewalt sei für sie „die Hölle“ gewesen. Da Wolf nicht maskiert gewesen sei, ihr seinen Namen genannt und seine Lebensgeschichte erzählt habe, sei sie davon ausgegangen, dass er sie töten würde, berichtete die 45-Jährige. Wolf habe zwar mehrmals gesagt, ihr werde nichts passieren, aber sie habe ihm nicht geglaubt. Bis heute warte sie auf eine glaubhafte Entschuldigung. Sie habe Wolf deshalb sogar im Gefängnis besucht, doch er habe eine Stunde lang „nur erzählt, wie schlecht es ihm geht“.

Wolf, der später nach einem Zeckenbiss an Borreliose erkrankte, wurde zwei Monate nach der Entführung in Hamburg festgenommen und führte die Polizei später zu dem in einem Wald vergrabenen Lösegeld. Der Prozess gegen ihn wird am 3. Mai fortgesetzt. (dpa)