Auslöser der Katastrophe? Folgen? Gefahren? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Natur- und Atomkatastrophe in Japan.

Hamburg. Der Atomunfall von Fukushima ist die schwerste Havarie in einem Kernkraftwerk seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. Wie kam es zu dieser Katastrophe und wie gravierend sind die Auswirkungen?

Was war der Auslöser der Katastrophe von Fukushima?

Sie wurde von dem Tohoku-Erdbeben verursacht, das mit 9,0 auf der Richterskala das stärkste je in Japan gemessene Beben war. Die Pazifische Platte schiebt sich bei Japan mit 83 Millimetern pro Jahr unter die eurasische sowie einen Keil der nordamerikanischen Platte und biegt sie dabei nach unten. Diese Spannung entlud sich am 11. März um 6.46 MEZ in einer Tiefe von 25 Kilometern, 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai. Bereits dabei entstanden so schwere Schäden am Kernkraftwerk, die zum GAU führten - und nicht erst durch den folgenden Tsunami, wie die Betreiberfirma Tepco zunächst behauptete. Zwar gab es in Fukushima, wie auch in zehn weiteren der 55 japanischen Atomkraftwerke eine Notabschaltung. Der atomare Zerfallsprozess setzt sich dann jedoch fort - weshalb weiter gekühlt werden muss. Als Notstromaggregate waren Dieselgeneratoren vorgesehen - doch der Tsunami hatte die nicht wasserdicht gebauten Generatoren zerstört. In den drei laufenden Reaktorblöcken 1, 2 und 3 erhitzten sich die Brennstäbe aufgrund der fehlenden Kühlung. Es bildete sich Wasserstoffgas, das nacheinander in allen drei Reaktoren explodierte und die äußeren Hüllen beschädigte. Offenbar hat zudem in allen drei Reaktoren eine Kernschmelze eingesetzt. Dabei schmelzen die Brennstäbe und können sich als Brei am Boden des Reaktors sammeln. Vermutlich sind in den Reaktorblocks 2 und 3 die Sicherheitsbehälter geborsten, und hoch radioaktives Material ist in den Erdboden eingedrungen. Im abgeschalteten Block 4, in dessen Abklingbecken heiße Brennstäbe lagern, kam es zu einer Wasserstoffexplosion, die das Gebäude schwer beschädigte. Die Lage dort ist ebenfalls kritisch. Die Blocks 5 und 6 dagegen haben mittlerweile den Status "kalt und unterkritisch" erreicht.

Warum werden immer wieder erschreckende Messwerte erst vermeldet und dann korrigiert?

Am Freitag hat die Betreiberfirma von Fukushima-Daiichi, Tepco (Tokio Electric Power Company), angeblich die 10 000-fach erhöhten Strahlenwerte im Grundwasser des Geländes bestätigt. Andreas Küppers, Geologe am Geoforschungszentrum Potsdam, hat dort jahrelang geforscht, dabei auch die Anlage in Fukushima besucht. Er kennt Unterlagen, Karten und Bohrprofile aus der Umgebung. Eines ist ihm dabei nicht untergekommen: Ein Hinweis auf Schichten im Boden, die Grundwasser führen. Er vermutet, die Meldungen über 10 000-fach erhöhte Jod-131-Werte im Grundwasser seien schlicht einem "Übersetzungsfehler" geschuldet. Es gebe Schächte und Tunnels unter der Oberfläche, möglicherweise seien die Messungen dort durchgeführt worden. Schon in den Tagen zuvor wurden immer wieder Meldungen über erhöhte Werte im Boden oder in der Luft verbreitet, die dann Korrigiert wurden. Angeblich handelte es sich dabei um Messfehler, unterschiedliche Messmethoden, die von Tepco oder der japanischen Atomaufsichtsbehörde angewandt wurden oder Computerfehler.

Welche Maßnahmen sollen die Menschen in der betroffenen Region schützen?

Die Regierung von Ministerpräsident Naoto Kan hat eine Zone von 20 Kilometern um das Kraftwerk evakuiert. Sie hat ferner alle Menschen in einer 30-Kilometer-Zone zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Einige Experten fordern eine 40-Kilometer-Zone, die weitere 130 000 Menschen betreffen würde; dies lehnt die Regierung jedoch ab. Die Bewohner außerhalb der Evakuierungszone wurden aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Dies ist nur sinnvoll bei einer vorüberziehenden Strahlungswolke, nicht bei andauernder Verstrahlung.

Welche Folgen hat die Katastrophe?

Die Kernschmelze setzt große Mengen an Radioaktivität frei - vor allem Jod 131- und Cäsium-137-Partikel. Schon jetzt sind Rindfleisch, Milch und Gemüse in den betroffenen Präfekturen derart verstrahlt, dass sie vernichtet werden müssen. Im Meer vor dem AKW liegt die Strahlung um das 4385-Fache über dem Grenzwert. Fische dürfen dort nicht mehr gefangen werden. Die langfristigen Auswirkungen der Strahlenbelastung auf das Meer werden von manchen Experten aber als eher gering bewertet. Die vom Reaktor auch in die Luft abgegebene radioaktive Strahlung hat mit dem Wind längst Tokio erreicht, in dessen Metropolregion 35 Millionen Menschen leben. Eine hohe Strahlenbelastung kann langfristig Krebserkrankungen und Gendefekte auslösen. Das Trinkwasser in Tokio ist bereits so belastet, dass es Babys nicht mehr gegeben werden darf.

Welche Gefahren lauern noch?

Die größte Gefahr geht von Reaktorblock 3 aus. Dessen Brennstäbe bestehen aus einer Mischung aus Uran- und Plutoniumdioxid (MOX). Plutonium 239 gilt als die giftigste Substanz der Welt, ist stark krebserregend und hat eine Halbwertszeit von 24 000 Jahren. (Cäsium 137: 30 Jahre, Jod 131: acht Tage). Die Sperrzone um das Kraftwerk wird auf lange Zeit nicht aufgehoben werden können - in Tschernobyl besteht sie seit 25 Jahren. Dort werden die Arbeiten am Reaktor noch mindestens 70 Jahre andauern - auch in Fukushima wird dies noch Jahrzehnte dauern.

Regierungssprecher Yukio Edano, der seit Wochen die Hiobsbotschaften verkünden muss, setzte in der Krise ein Zeichen der "Normalität": Er trug wieder Anzug statt Blaumann.

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