Der Richter belehrte das mutmaßliche Opfer darüber, dass es die Aussage verweigern kann. Von dieser hängt der Prozessausgang ab.

Mannheim. Für das Quartett grauhaariger Damen, das den Prozess gegen Jörg Kachelmann, 52, von Beginn an verfolgt, steht nun fest: "Kachelmann ist unschuldig", tönte eine der Seniorinnen im Brustton der Überzeugung in eine Fernsehkamera. Begründung: Das mutmaßliche Opfer habe "überhaupt nicht vergewaltigt gewirkt".

Offensichtlich hatte so mancher im Publikum erwartet, dass die Nebenklägerin Claudia D., 37, als bebendes Häuflein Elend, womöglich sogar weinend in den Zeugenstand treten würde. Doch die Radiomoderatorin, die genau sechs Wochen nach Prozessauftakt nun endlich selbst zum Vergewaltigungsvorwurf gegen Kachelmann aussagte, betrat den Raum lächelnd und mit forschem, fast beschwingtem Gang.

Sie trug enge, schwarze Jeans, hochhackige Schuhe, ein schwarzes T-Shirt und einen modischen, ärmellosen Strickpullover. Um den Hals geschlungen war der obligatorische Schal, dieses Mal in Pink. "So sieht ein Opfer nicht aus", kommentierte die Zuschauerin hinterher Claudia D.s Erscheinung. Tatsächlich ist es für die mutmaßlich Vergewaltigte nie leicht, beim Prozess den richtigen Auftritt und Ausdruck zu finden. In keinem anderen Strafverfahren hängt das Schicksal des Täters so fundamental von ihrer Aussage ab, weil fast immer Zeugen und eindeutige Beweise fehlen.

Im Fall Kachelmann haben die Spurenexperten allerdings ein Messer sowie Sperma- und Sekretspuren sichergestellt, außerdem fotografierte die Polizei Hals- und Beinverletzungen. Doch um die Interpretation dieser Spuren ist eine Gutachterschlacht in gigantischer Dimension entbrannt. Gestern führte die Verteidigung sogar noch drei weitere Sachverständige ins Verfahren ein. Die Rechtsmediziner sollen nachweisen, dass die DNA-Spuren am angeblichen Tatmesser nicht von Kachelmann stammen, oder zumindest nicht direkt. Sie könnten auch durch "Sekundärübertragung" an das Tomatenmesser gekommen sein, etwa durch Hautschuppen, die sich an Kleidungsstücken befanden. Auf der Anklägerseite wiederum verfolgen vier hochkarätige Experten das Geschehen, stellen Fragen und geben Einschätzungen über das Aussageverhalten von Claudia D. ab.

Was die langjährige Freundin von Jörg Kachelmann dem Gericht allerdings antwortete, kommt wohl nie in aller Ausführlichkeit an die Öffentlichkeit. Umgehend wurden die Zuschauer aus dem Saal verwiesen, als endlich letzte Formalitäten geklärt waren und die Befragung beginnen konnte. Klar ist nur, dass Claudia D.s Gesicht während der Anhörung per Kamera auf eine zwei mal zwei Meter große Leinwand übertragen wird, damit alle Gutachter jede Regung in ihren Zügen verfolgen können. Außerdem ist die Zeugenvernehmung ausführlich und akribisch. Nach gut drei Stunden waren noch nicht einmal der familiäre Hintergrund oder die Ausbildung vollständig abgeklärt.

Verteidigung und Staatsanwaltschaft gehen mittlerweile davon aus, dass die Zeugenaussage mehrere Tage dauert. Zuvor hatte die Verteidigung noch einen Punktsieg errungen: Richter Michael Seidling belehrte Claudia D. nun doch noch darüber, dass sie die Aussage verweigern könnte, wenn sie sich dabei selbst einer Straftat bezichtigen würde, der falschen Verdächtigung beispielsweise. Am vergangenen Mittwoch, als Claudia D.s Aussage bereits hätte beginnen sollen, war die Befragung an dieser Formalie gescheitert, Kachelmann-Anwalt Reinhard Birkenstock hatte daraufhin einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer gestellt. Darüber müssen noch andere Richter entscheiden.

Claudia D. war an den beiden ersten Prozesstagen kurz aufgetaucht, hatte aber gleich nach der Anklageverlesung das Gericht verlassen. Ob sie mit diesen Schals ein subtiles Signal senden will oder es einfach nur gern warm hat am Hals, ist offen. Aber manche Psychologen mutmaßen, dass sich Opfer von Würge- oder Messerangriffen auch lange danach oft instinktiv an den Hals fassen - oder sich mit einem Schal schützen. Kachelmanns Verteidiger lässt allerdings keine Gelegenheit aus, um zu sagen, dass er von dieser These gar nichts hält. Einer seiner neuen Gutachter soll dies nun auch wissenschaftlich unterfüttern.