Die Teenager rangen um Fassung, als sie vor Gericht aussagten. Passanten seien einfach weitergegangen, niemand habe geholfen.

München. Der Zeuge Marcel L. kämpft mit den Tränen. Er war hautnah dabei, als Sebastian L. und Markus S. den Manager Dominik Brunner zu Tode prügelten. Er und seine Freunde hätten Passanten um Hilfe gebeten, doch niemand habe eingegriffen, sagt der 16-Jährige am Donnerstag vor dem Landgericht München I. Manche Passanten hätten den Schlägern zugerufen, sie sollten aufhören. Andere seien einfach weitergelaufen. Marcel gehörte zu einer Gruppe von Schülern, die Brunner vor den beiden Angeklagten schützen wollte. Sebastian L. (18) und Markus S. (19) müssen sich wegen Mordes verantworten.

Marcel L., Sarah P. (14) und Anja W. (15) schauen bei ihrer Aussage nicht hinüber zur Anklagebank, wo die beiden nur wenige Jahre älteren Täter sitzen: Markus S. den Blick nach unten gerichtet, Sebastian L. die Hände auf der Anklagebank gefaltet. Die Teenager können es auch nach zehn Monaten nur schwer fassen: Brunner hatte ihnen doch helfen wollen – als er selbst in Gefahr kam, war niemand da, der half. Auch der Zugführer der S-Bahn habe nicht auf die Schlägerei reagiert, klagt Marcel. „Er hat alles gesehen, aber er ist einfach weitergefahren“, sagt der schlaksige Teenager mit Tränen in den Augen. „Wenn der vielleicht was gemacht hätte, wäre es vielleicht anders gelaufen.“

Hilflosigkeit, Angst – und Fassungslosigkeit: „Ich war geschockt, handlungsunfähig“, beschreibt Marcel seinen Zustand an jenem 12. September 2009. Er versuchte einen Schläger wegzuziehen. „Er hat sich umgedreht und gesagt, dass ich abhauen soll, sonst kriege ich auch Schläge. Dann stand ich ein bisschen doof rum.“ Hilflosigkeit auch bei Sarah – sie habe nicht gewusst, was sie machen solle. Marcel, Sarah, Anja und der 15-jährige Richard M. wollten an jenem Septembertag zum Bowling, als es zu der tödlichen Schlägerei kam.

Vor allem Marcel L. kämpft mit der Erinnerung, hat immer wieder Tränen in den Augen – Richter Reinhold Baier unterbricht die Vernehmung. „Sie sind schon wieder an einem Punkt, wo sie zittern, mit den Tränen kämpfen“, sagt Baier später noch einmal fürsorglich. Doch der Teenager will keine weitere Pause. „Es geht schon.“ Er und sein Freund Richard sind Nebenkläger – ebenso wie der Vater des Opfers, Oskar Brunner. Dieser verfolgt den Prozess auch am dritten Tag ohne sichtbare Regung. Den Kopf in die Hand gestützt hört er die Aussage des um Fassung ringenden Teenagers. „Die zwei sind uns gefolgt. Herr Brunner hat seine Jacke ausgezogen und hat gesagt, wir sollen uns raushalten – da sind die beiden auf ihn zugekommen“, schildert Sarah die Momente vor der tödlichen Eskalation. Marcel hat etwas andere Erinnerungen: Brunner sei den beiden entgegengegangen mit den Worten: „Ihr wollts nicht anders“, dann habe er Markus S. ins Gesicht geschlagen, um einen drohenden Angriff abzuwehren. Die 15-jährige Anja hingegen meint sich zu erinnern, dass Brunner die Jugendlichen zum Weggehen aufforderte.

Mehrmals gehen die Schilderungen auseinander, oft können sich die jungen Zeugen nicht erinnern. „Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht mehr“, sagt Marcel wie am Vortag Richard. „Keine Ahnung“, sagt auch Sarah mehrmals. Sie sagt, dass nur Markus S. gegen den Kopf des am Boden liegenden Managers trat. Marcel kann sich an derartige Tritte überhaupt nicht erinnern. Laut Richard wiederum traktierten kurzzeitig beide den Mann am Boden, bevor Sebastian L. Markus S. wegzog. Was im Einzelnen geschah, bleibt am Donnerstag diffus, ebenso wie die Motivlage. Die Verteidigung jedenfalls hält den Mordvorwurf der Anklage, nach dem die beiden Brunner aus Rache für seine Einmischung zusammenschlugen, für immer weniger haltbar.

Angeklagter: "Voll einen Blackout gehabt"