Die Angeklagten bestreiten zu Prozessbeginn im Mordfall Dominik Brunner auf einem Münchener S-Bahnhof, mit Vorsatz gehandelt zu haben.

München. Im Internet posierte Markus S., 18, mit Pistole und prahlte unter dem Pseudonym "Mr. Hip Hop" mit seinem Gefängnisaufenthalt in der Justizvollzugsanstalt "Stadelheim" ("Mein letzter Urlaub"). Als Lebensziel gab er an: "Ein Bullenrevier in die Luft sprengen (natürlich voll besetzt)". Sein Lebensmotto: "Ich leb jeden Tag so, als wär's mein erster, ich scheiß drauf, was ich gestern gelernt habe." Und dass er seine "Familie stolz machen" wolle.

Seit gestern muss sich Markus S. zusammen mit Sebastian L., 18, wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem Manager Dominik Brunner vor der Jugendkammer des Münchner Landgerichts verantworten. Sie hatten den 50-Jährigen am 12. September 2009 auf dem Münchner S-Bahnsteig Solln tödlich verletzt, nachdem dieser versucht hatte, vier Schüler vor dem Übergriff der Angeklagten zu schützen.

Als Markus S. den Gerichtssaal betritt, ist das eine Überraschung. Der Angeklagte mit dem Bürstenhaarschnitt in seinem zu großen dunklen Hemd wirkt schmächtig. Noch kleiner ist Sebastian L., der von seinen beiden Verteidigern um Kopflänge überragt wird. Wie diese beiden jungen Männer in nur einer Minute einen Menschen so schwer verletzen konnten, dass dieser an den Folgen starb, lässt sich an ihrer Erscheinung nicht erkennen. Stoisch den Blick nach vorn gerichtet, lassen die zwei das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen. Noch ein anderer blickt stoisch in den Raum: ein älterer Herr im blauen Anzug, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Oskar Brunner, der Vater von Dominik Brunner, tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Wer ihn und die beiden Angeklagten sieht, kann sich vorstellen, wie sein Sohn gewesen sein muss. Einer, der ohne lange zu zögern eingreift, wenn er sieht, dass Dinge falsch laufen. Und der geglaubt hat, dass er es mit diesen Bürschchen allemal aufnehmen könnte. Ein tödlicher Irrtum.

Acht Punkte umfasst die Anklageschrift, die von der Staatsanwältin Verena Käbisch vorgetragen wird. Ein Einbruch in einen Kiosk im Juli 2009 ist dabei, der Besitz von Marihuana, zwei gestohlene Schachteln Marlboro und die Drohung von Markus S. im Internet. Es sind alles Delikte der beiden Angeklagten, die sich angesammelt haben und über die noch nicht verhandelt wurde. Erst in Punkt sieben und acht geht es um die Tat, die bundesweit Erschütterung auslöste: den Übergriff auf die vier Schüler und die Konfrontation mit Dominik Brunner, die dieser nicht überlebte. Beschrieben wird auch die Brutalität, mit der vor allem Markus S. auf den 50-Jährigen einprügelte. Dominik Brunner habe versucht, durch einen Faustschlag gegen S. einen ersten Angriff abzuwehren. Dieser habe dann nach kurzer Beratung mit Sebastian L. einen Schlüsselbund in die Hand genommen und mit gezücktem Schlüssel auf Brunner eingedroschen. Auch als dieser schon längst wehrlos am Boden lag, hätten beide Angeklagten weiter auf ihn eingeprügelt und getreten.

Markus S. will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, lässt einen seiner beiden Verteidiger eine Erklärung verlesen. Die freilich lässt nicht viel Einsicht erkennen: Nach Darstellung von Markus S. war es ein dritter Freund, der bereits verurteilte Christoph T., der zuvor am S-Bahnhof Donnersberger Brücke die vier Schüler angepöbelt und Geld von ihnen gefordert habe. Er selbst habe zwar mitgelacht, aber ansonsten unbeteiligt dabeigestanden. "Ich hatte weder Lust auf Stress, noch brauchte ich Geld und versuchte, mich rauszuhalten." Nachdem Christoph T. sich von seinen beiden Kumpanen verabschiedet hatte, sei man in die S-Bahn in Richtung Solln gestiegen und eher zufällig neben den vier Schülern zu sitzen gekommen. Ja, gedroht habe er ihnen schon, aber nur, weil die Schüler getuschelt und gegrinst hätten und er "nicht als Depp dastehen wollte". Den "älteren Mann", der die Polizei rief, habe er kaum beachtet. Weil man die eigene Station verpasst habe, sei man zufällig gemeinsam mit den Schülern ausgestiegen, um die S-Bahn zurück zu nehmen. Auf dem Bahnsteig sei plötzlich "der ältere Mann" auf ihn zugetänzelt und habe ihn derart einen Schlag ins Gesicht verpasst, dass er geblutet habe: "Ich weiß dann nur noch, wie ich richtig wütend wurde." Danach müsse er "voll einen Blackout gehabt haben".

Dann äußert sich Markus S. doch noch selbst. "Mir tut der Tod des Herrn Brunner so unendlich leid, ich kann's nicht beschreiben", sagt er, den Blick weiter starr nach unten gerichtet. Er bitte um Entschuldigung, werde sich aber auch selbst nie verzeihen können. Es klingt auswendig gelernt.

Anders gibt sich der andere Angeklagte, der zur Tatzeit 17 Jahre alte Sebastian L. Er hat sich zur Aussage bereit erklärt. Das fällt dem wenig Wortgewandten erkennbar schwer, mühselig ringt er bei den Fragen des Vorsitzenden Richters Reinhold Baier um jede Antwort. Er gibt offen zu, auch selbst die Schüler beleidigt zu haben und dass man bewusst in Solln ausgestiegen sei: "Ich wollte nicht, dass es so rüberkommt, als ob ich den Schwanz einziehe." Dass er die Schüler in der S-Bahn nicht mehr ernsthaft bedroht haben will, glaubt ihm Richter Baier nicht. Dominik Brunner hatte noch aus der S-Bahn bei der Polizei angerufen mit dem Hinweis, er wolle einen Raubversuch melden. Später sagt Sebastian L., er habe versucht, seinen Freund von Herrn Brunner wegzuziehen, als dieser wehrlos am Boden lag. Warum, will Richter Baier wissen. "Das kam mir alles zu krass vor", antwortet der junge Mann.

Auch Sebastian L. entschuldigt sich. "Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldung gibt, dass ein Mensch ums Leben gekommen ist. Es tut mir von Herzen leid." Er hat Briefe aus dem Gefängnis geschrieben, in denen er die Tat bedauert, und schreibt, dass er Angst vor dem Prozess habe. Oskar Brunner verfolgt die Entschuldigung und die Aussage mit bewegungsloser Miene. Bis zu zehn Jahre Haft drohen Sebastian L. Für Markus S. könnte das Urteil lebenslang lauten, wenn er nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollte. Der Prozess wird heute fortgesetzt.