Es ist, als ob eine riesige Lawine ins Rollen geraten ist. Tag für Tag werden neue Vorwürfe von Missbrauch in Heimen und Schulen bekannt.

Frankfurt/Main. In Deutschland werden inzwischen täglich neue Fälle von mutmaßlichem Kindesmissbrauch in vor allem katholischen Schulen und Heimen bekannt. Am Mittwoch wurden entsprechende Vorwürfe an einem katholischen Internat im südhessischen Bensheim, in einem Kinderheim der Caritas im hessischen Hofheim und in einem sächsischen Kinderheim zu DDR-Zeiten öffentlich. Der Vorstand der ebenfalls von massiven Missbrauchsfällen erschütterten Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim will geschlossen zurücktreten.

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In dem zum Bistum Mainz gehörenden katholischen Internat in Bensheim soll es nach Zeugenaussagen bis Ende der 70er Jahre zu sexuellem Missbrauch und Misshandlungen gekommen sein. Laut Bistum richten sich die Vorwürfe, die ein Ex-Mitarbeiter sowie ein früherer Schüler erheben, gegen den ehemaligen Leiter des 1981 geschlossenen Konvikts, der kein Priester war, sowie einen dort tätigen Priester. Das Bistum schaltete die Staatsanwaltschaft ein.

Beim Caritasverband Frankfurt, der Träger des Heims Vincenzhaus in Hofheim ist, meldeten sich drei ehemalige Heimkinder, die den Vorwurf erheben, in den 50er und 60er Jahren misshandelt und missbraucht worden zu sein. „Wir sind über diese Vorwürfe außerordentlich beunruhigt und versuchen nun – soweit das möglich ist – Aufklärungsarbeit zu leisten“, erklärte Caritas-Direktor Hartmut Fritz. Die Caritas bittet möglicherweise ebenfalls betroffene ehemalige Heimkinder, sich unter 069-2982-142 zu melden.

Im Ernst-Schneller-Heim für erziehungsauffällige Kinder im sächsischen Eilenburg soll es nach Angaben eines ehemaligen Bewohners zwischen 1970 und 1980 täglich zu sexuellen Übergriffen gekommen sein, wie die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet. Der heutige Leiter, Hans-Otto-Schlotmann, sagte, ehemalige Bewohner hätten sehr strenge Erziehungsmethoden geschildert. Er schließe nicht aus, dass es auch zu sexuellen Übergriffen gekommen sei.

Auch im katholischen Kinderheim Vinzenzwerk in Münster steigt die Zahl der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle. „Es haben sich weitere Opfer telefonisch gemeldet“, sagte Heimleiterin Mechtild Knüwer dem DAPD. Die Fälle hätten sich in den 50er und 60er Jahren ereignet. Eine genaue Zahl nannte sie nicht. Friedrich Springorum, Mitglied des Führungsgremiums der Odenwaldschule in Heppenheim, sagte am Dienstagabend im HR-Fernsehen: „Im Lichte der in diesen Tagen bekannt gewordenen Fälle von Kindesmissbrauch und aufgrund der zögerlichen Aufarbeitung“ sei eine vorzeitige Neuwahl des Vorstandes zwingend.

Unterdessen wurden Vorwürfe gegen die Polizei im Zusammenhang mit der Odenwaldschule laut. Laut „Darmstädter Echo“ soll die Polizei in Heppenheim eine Schülerin abgewimmelt haben, als diese angerufen und von sexuellen Übergriffen berichtet habe. Die Beamten hätten handfeste Beweise verlangt und das Mädchen auf die Gefahr einer Gegenanzeige wegen falscher Beschuldigung hingewiesen. Das Polizeipräsidium Südhessen erklärte, man bemühe sich um Aufklärung der Vorwürfe und nehme diese ernst.

Einer der missbrauchten Schüler kritisierte heftig Äußerungen der Schulleitung der Odenwaldschule (OSO) zum damaligen Verhalten. Aussagen, die Schule habe sich damals korrekt verhalten, „sind absolut zynisch“, sagte der 42-Jährige der „Frankfurter Rundschau“. Ende der 90er Jahre seien die damals bekannt gewordenen Fälle keinesfalls entsprechend aufgearbeitet worden. Auch sei man nicht auf die Forderungen der Opfer eingegangen.