An der renomierten Odenwaldschule in Hessen soll es seit dem Jahr 1971 sexuellen Missbrauch von Schülern gegeben haben.

Frankfurt/Main. Nach mehreren katholischen ist nun auch eine nichtkirchliche Privatschule von der Welle der Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle erfasst worden. Wie die „Frankfurter Rundschau“ am Sonnabend berichtete, soll es in der Odenwaldschule, einer Unesco -Modellschule im hessischen Heppenheim, zu zahlreichen Missbrauchsfällen gekommen sein. Betroffene Altschüler gingen 50 bis 100 Missbrauchsopfern aus. Der Vorstand hat nach Angaben der Zeitung den jahrelangen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Pädagogen eingeräumt.

Schulleiterin Margarita Kaufmann sagte dem Blatt: „Es ist für mich eine Tatsache, dass hier mindestens seit 1971 sexueller Missbrauch stattgefunden hat.“ Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, wie sie von Lehrern regelmäßig durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als „sexuelle Dienstleister“ für ganze Wochenenden eingeteilt und wie sie zu Oralverkehr gezwungen worden seien. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen. Lehrkräfte hätten Schutzbefohlene geschlagen, mit Drogen und Alkohol versorgt oder beim gemeinschaftlichen Missbrauch eines Mädchens nicht eingegriffen.

+++ HINTERGRUND ZUR ODENWALDSCHULE +++

+++ "ODENWALDSCHULE - EIN ZWEITES ZUHAUSE IN OBERHAMBACH" +++

Laut FR wurden erste Vorwürfe gegen den langjährigen Rektor Gerold Becker, der die Einrichtung von 1971 bis 1985 leitete und heute schwer krank sei, bereits vor zehn Jahren publik. Seinerzeit hätten ehemalige Schüler von massiven Übergriffen Beckers gegen 13-Jährige berichtet. Die Vorwürfe seien aber nur halbherzig aufgegriffen worden. „Es war eine Unterlassung und ein grober Fehler, dass die Schule damals nicht nachgeforscht hat“, sagte Kaufmann, die seit 2007 im Amt ist.

Sie selbst sei im vergangenen Jahr erneut von Altschülern angesprochen worden, die fürchteten, die Schule werde sich auch bei der 100-Jahr-Feier im April wieder ihrer Verantwortung entziehen. Daraufhin habe sie etliche Gespräche mit ehemaligen Schülern geführt und dabei erst „das wahre Ausmaß“ des Skandals erahnt. Kaufmann geht laut FR von mindestens drei Lehrern aus, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben sollen. Von Zeugen habe sie „die Namen von 20 Opfern gehört“. Die Einrichtung war 1963 zur UNESCO-Modellschule für Reformpädagogik ernannt worden. Zu den ehemaligen Schülern gehören namhafte Persönlichkeiten wie der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit oder ein Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

Beim Missbrauchskandal am Bad Godesberger Jesuiten-Gymnasium Aloisiuskolleg haben sich nach Informationen der „Kölnischen Rundschau“ 30 ehemalige Schüler sowie ein Schüler von heute gemeldet. Diese haben in den vergangenen vier Wochen Vorwürfe im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch vorgebracht, wie die Tageszeitung unter Berufung auf eine Arbeitsgruppe des Kollegs berichtet. Der Sprecher des Jesuitenkollegs, Robert Wittbrodt, erklärte, teilweise handele es sich um „heftige Berichte“ bis hin zu sexuellen Handlungen.

Gegen sechs Patres würden Vorwürfe erhoben, von denen fünf inzwischen verstorben seien. Die heftigsten Anschuldigungen beträfen strafrechtlich verjährte Vorfälle in den 50er und 60er Jahren. Allerdings ermittelt die Staatsanwaltschaft dem Bericht zufolge in einem Fall aus dem Jahr 2005 noch gegen den 82-Jährigen Pater, der angeblich demenzkrank ist. Auch der Missbrauchskandal bei den Regensburger Domspatzen hat größere Ausmaße als bisher bekannt. „Der Spiegel“ berichtete am Sonnabend, Therapeuten im Münchner Raum behandelten mehrere ehemalige Domspatzen, die durch sexuelle und andere körperliche Misshandlungen traumatisiert wurden.

Ein Betroffener aus dem Allgäu habe von grausamen Ritualen im Internat Etterzhausen berichtet, einer Vorschule für jüngere Schüler, aus dem sich Regenburgs Domspatzen rekrutierten. Dort habe Ende der 1950er Jahre der Direktor, ein katholischer Priester, härteste Strafen verhängt. So habe er oft auch in seinen Privaträumen ein „Nacktprügeln“ betrieben, bei dem sich die acht- bis neunjährigen Kinder entblößen mussten und Schläge mit der Hand bekamen.

Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Regensburger Internat der Domspatzen lebte, sprach dem Bericht zufolge von einem „ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust“, das dort bestanden habe. Der damalige Internatsdirektor habe sich „abends im Schlafsaal zwei, drei von uns Jungs ausgesucht, die er in seine Wohnung mitnahm“. Dort habe es Rotwein gegeben und der Priester habe mit den Minderjährigen masturbiert. „Jeder wusste es“, sagte Wittenbrink, ein Neffe des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU).

„Warum der Papstbruder Georg Ratzinger, der seit 1964 Domkapellmeister war, davon nichts mitbekommen haben soll, ist mir unerklärlich.“ In seinem Jahrgang habe ein Mitschüler kurz vor dem Abitur Selbstmord begangen. Ratzinger (86) hatte im Bayerischen Rundfunk gesagt, ihm seien keine Missbrauchsfälle bei dem Knabenchor bekannt. Der Bruder von Papst Benedikt XVI leitete die Domspatzen von 1964 bis 1994. Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) forderte die Kirche zur konsequenten Zusammenarbeit mit der Justiz auf. „Es gibt Fälle, in denen es nicht so läuft, wie es laufen sollte“, sagte die CSU-Politkerin der „Süddeutschen Zeitung“. Es sei für sie unabdingbar, dass die Kirche sofort die Staatsanwaltschaft einschalte, wenn sie Hinweise auf Missbrauch erhalte.

Wenn sich herausstelle, dass die Kirche der Staatsanwaltschaft bewusst Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch verschwiegen habe, dann werde das Verhältnis von Staat und Kirche beschädigt. Sie forderte zudem, die Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch auf 30 Jahre zu erweitern. Die jetzigen Verjährungsfristen seien viel zu kurz. Sexueller Missbrauch sei wegen der Traumatisierung der Opfer nicht vergleichbar mit anderen Straftaten, sagte Merk. Die Opfer, denen die Täter oft sehr nahestünden, bräuchten länger, bis sie mit den Missbrauch umgehen und sich an die Polizei wenden könnten. „Wenn es nach mir ginge, dann gäbe es hier überhaupt keine Verjährung – wie in der Schweiz“, sagte die CSU-Politikerin. Bisher verjähre sexueller Missbrauch an Kindern zehn Jahre nach dem 18. Geburtstag.

Ähnlich hatte sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geäußert. Sie befürwortet die Einrichtung eines Runden Tisches zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, wie sie in der „Welt am Sonntag“ bekräftigte. Dieser Tische solle nicht nur vorbeugend, sondern auch aufarbeitend tätig werden. Es sei erschütternd, dass täglich neue Missbrauchsfälle bekannt würden, sagte die FDP-Politikerin.

„Ein Runder Tisch ist kein Pranger, sondern kann die gesellschaftliche Aufarbeitung befördern“, unterstrich Leutheusser-Schnarrenberger. „Besonders in den Fällen, in denen die rechtliche Aufarbeitung nicht mehr möglich ist, kann ein Runder Tisch den Dialog über die berechtigen Anliegen der Opfer eröffnen“, sagte die Ministerin. Die Erfahrungen mit Runden Tischen aus anderen Bereichen zeigten, dass nur ein konkreter Handlungsauftrag die Chance zu einer echten Aufarbeitung biete. Der Missbrauch-Skandal in der katholischen Kirche macht nach Ansicht des deutschen Kurienkardinals Walter Kasper kirchenintern eine „ernsthafte Reinigung“ dringend erforderlich. Es sei gut, dass Papst Benedikt XVI. Klarheit schaffen wolle und „Null-Toleranz“ denen gegenüber verlange, die sich mit so schwerer Schuld beschmutzten, sagte Kasper der römischen Tageszeitung „La Repubblica“.

Am Freitag hatten Kirchenbeauftragte zahlreiche Details zu Missbrauchsfällen im oberbayerischen Kloster Ettal sowie bei den Regensburger Domspatzen bekanntgegeben. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“ ist der oberste Benediktiner, Abtprimas Notker Wolf, verärgert über die Aktivitäten der Erzdiözese München und Freising nach den Missbrauchsfällen im Benediktinerkloster Ettal. Es müsse geklärt werden, „ob die Erzdiözese so mit einer Abtei umgehen kann, wie sie es jetzt tut, beispielsweise die Schließung der Schule anzudrohen, falls der Schulleiter nicht zurücktritt, ohne dass diesem das Geringste vorgeworfen werden kann“, sagte Wolf.