Winterszenen haben seit jeher Maler inspiriert. Über verblüffende Ähnlichkeiten zwischen alten Werken und norddeutscher Wirklichkeit.

Hamburg. Es ist ein bitterkalter Winter, Anfang des Jahres 1820. Am Dresdner Elbufer steht einsam ein Mann und betrachtet die Eisschollen, die Wind und Strömung übereinandergetürmt haben. Ungeachtet der Kälte zieht er Papier und Zeichenstift aus seinen Manteltaschen und beginnt die von Wasser, Frost und Wind geformten Eisskulpturen mit schnellen Strichen zu skizzieren. Tage später sitzt er in seinem kargen Atelier und verwandelt die Eisschollen vom Elbufer auf einem Gemälde zu gewaltigen, ineinander und gegeneinander verschobenen Eisbergen vor dem tiefblauen Himmel einer arktischen Landschaft. Im Hintergrund sind die Reste eines Segelschiffs zu erkennen, dessen Rumpf von den Eismassen zerquetscht wurde - menschliches Scheitern in einer lebensfeindlichen Umwelt.

Der Maler war Caspar David Friedrich, und das Gemälde, zu dem sich in seinem Nachlassverzeichnis die Notiz "Eisbild. Die verunglückte Nordpolexpedition" findet, gehört unter dem Titel "Das Eismeer" zu den Hauptwerken der Hamburger Kunsthalle.

Wer dieser Tage an der Elbe spazieren geht und die Eisschollen betrachtet, kann - wie seinerzeit Friedrich - die Natur wie ein Kunstwerk erleben. Wenn sich klirrende Kälte übers Land legt, scheint die Welt den Atem anzuhalten, und die Landschaft wird zu einem Gemälde ganz in Weiß. Die Laubbäume, die seit dem Herbst ihre kahlen Äste in scheinbar ratloser Geste himmelwärts recken, sind nun wie mit Puderzucker bestäubt, und auf den Äckern und Wiesen liegt makelloser Schnee, der in der Wintersonne glitzert wie millionenfach geschliffenes Kristall. Die Eisschollen am Elbufer sind zu kleinen Gebirgen aufgeschichtet: Skulpturen mit Faltungen und Schichtungen, eine Polarwelt en miniature, fantastische und bizarre Formen, die sich kein Maler hätte ausdenken können.

Aber seit Jahrhunderten lassen sich Künstler gerade von Wintermotiven inspirieren. Das hat auch mit der Verwandlung der Landschaft zu tun, damit, dass Schnee und Eis alle farblichen Nuancen nivellieren und wie mit einem weißen Tuch zu überziehen scheinen. Das kann wie bei Friedrich als Symbol für Bedrohung und Lebensfeindlichkeit verstanden werden oder aber ganz im Gegenteil als Ausdruck von Lebensfreude, die im Winter ihre ganz eigene Ausprägung findet.

Versetzen wir uns ins 17. Jahrhundert zurück, in einen holländischer Winter: Die Kanäle und Seen sind zugefroren, die Häuser eingeschneit, an den Flügeln der Windmühlen hängen lange Eiszapfen. Aber die Landschaft ist nicht in Kälte erstarrt, sondern quicklebendig. Auf den Eisflächen der Kanäle tummeln sich Schlittschuhläufer. Man wärmt sich an Feuern, isst und trinkt im Freien, lässt sich auf Schlitten übers Eis ziehen, treibt derbe Späße. Die Kinder spielen, Hunde tollen herum, es herrscht Volksfeststimmung. Pieter Brueghel, Hendrick Avercamp und viele ihrer niederländischen Malerkollegen haben Szenen dieser Art gestaltet; Bilder, die den Winter nicht als Heimsuchung, sondern als ein Geschenk darstellen. Die Natur verharrt in Ruhe, und weil über den Feldern eine dicke Schicht aus Schnee und Eis liegt, haben die Bauern freie Zeit, in der sie nun ihr Vergnügen suchen.

Für die Holländer des 17. Jahrhunderts waren winterlich zugefrorene Kanäle und Seen eine Selbstverständlichkeit, denn sie lebten in einer Periode, die Meteorologen als "Kleine Eiszeit" bezeichnen. Etwa von 1570 bis 1715 gab es zur Winterzeit in Europa eine Kälteperiode, in der die meisten Gewässer zufroren. Viele Menschen litten unter dem strengen Frost, viele fanden in dieser Zeit aber auch ihre ganz besonderen Vergnügungen, indem sie gemeinschaftlich aufs Eis gingen und sich diese Freude gewiss von keiner Behörde verbieten ließen. Gut möglich, dass wir am Wochenende auf der Alster Szenen beobachten können, die an das bunte Treiben auf den Winterbildern von Avercamp oder Brueghel erinnern.