St. Paulis Präsidium wollte André Schubert das Aus mitteilen, doch der Trainer nutzte das Gespräch zur Entlastung. Sportchef zum Rapport.

Hamburg. Der Medienkonferenzraum ist ähnlich überfüllt wie bei der Verabschiedung von Urgestein Holger Stanislawski, einige Journalisten knien auf dem Teppich, ein Dutzend Kameras surren. Die Luft ist schlecht, die Stimmung gespannt. Weitreichende Entscheidungen haben sich angekündigt, der FC St. Pauli, heißt es, wird heute die Trennung von seinem Cheftrainer bekannt geben. André Schubert hat auf dem Podium Platz genommen, ganz außen - und bleibt doch mittendrin. Zur Überraschung aller. Spieler, Funktionäre, Mitarbeiter, Journalisten und Fans hatten das Kapitel Schubert bereits zugeschlagen. "Ich weiß gar nicht, wie viele Leute sich schon von mir verabschiedet hatten", sagt der 40-Jährige und zuckt mit den Schultern, "auch ich dachte ja, dass sich der Verein heute von mir trennt."

Doch die Pressekonferenz nimmt wie der gesamte Tag einen anderen Verlauf. "Das Wichtigste vorneweg: André Schubert ist und bleibt unser Cheftrainer", hatte Präsident Stefan Orth zuvor verkündet. Man habe die Dinge am Vormittag miteinander besprochen, habe dem Trainer seine Fehler aufgezeigt, aber vor allem auch Differenzen ausräumen können. "Der Weg, den wir gemeinsam gegangen sind, war richtig", sagt Orth, "vielleicht anfangs etwas holprig, aber das ist nicht schlimm." Worte des Präsidenten, die verblüffen. Nach Abendblatt-Informationen war er am Montagmorgen mit den drei anwesenden Vizepräsidenten Jens Duve, Bernd-Georg Spies und Tjark Woydt allein mit der Absicht in das Gespräch gegangen, Schubert die sofortige Beurlaubung mitzuteilen.

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Doch die Unterredung ging in die Verlängerung. Beinahe drei Stunden saßen der Trainer und die vier Ehrenamtler in einer Stadionloge zusammen und tauschten sich aus. Schubert gab sich wie bereits an den vergangenen Tagen angenehm selbstkritisch: "Wir konnten vieles ausräumen, und ich muss zukünftig einige Dinge sicherlich anders machen, aber verbiegen werde ich mich nicht. Insgesamt haben wir aber eine richtig gute Basis gefunden. Manches stellte sich nicht mehr so da, wie es zuvor dargestellt worden war." Eine Einschätzung, zu der auch die Präsidialen gelangten. Das angedachte Aus wurde kurzerhand abgesagt. Mehr noch: Niemand habe je die Absicht gehabt, den Trainer zu beurlauben, ließ das Quartett ausrichten. 180 Minuten reichten Schubert, um die Verantwortlichen in der Nachspielzeit umzustimmen. Für Schubert ein verhinderter Rauswurf, für den Verein letztlich eine peinliche Posse.

Niemand hatte es für nötig befunden, dem Trainer nach den Medienberichten über die bevorstehende Ablösung durch das Präsidium den Rücken zu stärken, ihm zur Seite zu stehen. Weshalb nur? Man könne nicht mediale Dinge kommentieren, wenn man mit der betroffenen Person noch gar nicht gesprochen habe, rechtfertigte sich Orth ungelenk. Die Anschlussfrage, weshalb man sich nicht früher, häufiger und ehrlicher mit Schubert zusammengesetzt und gesprochen habe, um die Vorwürfe rechtzeitig anzusprechen, wurde mit dem Hinweis auf Treffen im Dezember und März abgetan. Trainer gut, alles gut - so der Tenor der um Schadensbegrenzung bemühten Vereinsführung.

Tatsächlich aber hatten sie auf den überfälligen Dialog viel zu lange verzichtet, wussten um die Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, die von Spielern, Fans, Sponsoren, Betreuern und auch Geschäftsstellenmitarbeitern vornehmlich während der Hinrunde souffliert worden waren. Das Präsidium handelte, entwickelte statt einer Kommunikationsstrategie aber lieber einen Alternativplan. Nach Abendblatt-Informationen führt die Kandidatenliste fünf Namen, die für Schuberts Nachfolge infrage gekommen wären: darunter auch Jos Luhukay und Marcel Koller sowie eine interne Lösung mit den bisherigen (und zukünftigen) Assistenten Jan-Moritz Lichte, Mathias Hain und Thomas Meggle. Als Wunschkandidat galt Marco Kurz, der allerdings zum 1. FC Nürnberg wechseln könnte, sollte FCN-Trainer Dieter Hecking den vakanten Posten in Leverkusen besetzen. Theoretische Planspiele, die nun ohne die Teilnahme der Hamburger durchgeführt werden.

Schubert bleibt - und damit die Erkenntnis, dass eine frühzeitige Behandlung der Problematik, ein rechtzeitiges Reden miteinander, viel Schaden hätte verhindern können. Der sportlich erfolgreiche, stets geradlinige Cheftrainer hat an Autorität verloren, ohne sich in der Diskussion um seine Person irgendetwas vorwerfen lassen zu müssen. Das Präsidium hingegen bewies erneut, dass es unbequeme Gespräche und Entscheidungen scheut und am Ende sogar von dem angedachten Rauswurf Abstand nahm. Weil das Präsidium das tat, was es schon längst hätte tun müssen: die Verantwortlichen machten sich selbst ein Bild und kamen nach der Unterredung mit Schubert zu einer völlig anderen Lagebeurteilung. Am Vortag, als Präsidium und Aufsichtsrat im Anschluss an den 5:0-Sieg gegen den SC Paderborn in der Trainerfrage gemeinsam getagt hatten, waren die Kontrolleure nicht müde geworden, in einer hitzigen, intensiven Diskussion darauf hinzuweisen, dass vor der Beurlaubung noch einmal alle Beteiligten gehört werden müssen. Möglicherweise der entscheidende Einwand, der es Schubert überhaupt erst ermöglichte, zu den Vorwürfen persönlich Stellung zu beziehen.

Das wird nach Aussage des Präsidiums nun der Sportchef tun müssen. "Wir werden jetzt zeitnah mit Helmut Schulte Gespräche führen. Die Trainerpersonalie ist abgearbeitet. Jetzt ist der Sportchef an der Reihe", kündigte Orth für die nächsten Tage einen ähnlichen Rapport wie mit Schubert an. "Ich habe den Trainer intern immer verteidigt", sagte Schulte, der der Pressekonferenz gestern ferngeblieben war, obwohl er in der Einladung noch als Podiumsgast angekündigt worden war. Das Schriftstück war allerdings bereits um 11.35 Uhr verschickt worden, einem Zeitpunkt, an dem noch ganz andere Dinge verkündet werden sollten.