Mit 34 Jahren denkt der niederländische HSV-Angreifer Ruud van Nistelrooy noch lange nicht ans Aufhören. Er ist so fit, wie schon lange nicht.

Hamburg. Es gibt eigentlich nichts, was einer wie er noch nicht erlebt hat. Aber dieser "Überfall" kam selbst für Ruud van Nistelrooy zu überraschend. Von Manchester United und Real Madrid völlige Abgrenzung von den Fans gewohnt, wusste der Weltstar sich gar nicht zu wehren, als ihm eine Frau zuerst links, dann rechts dicke Schmatzer aufdrückte. Die Niederländerin war extra gekommen, um dem Torjäger ein Buch sowie ein eingepacktes Geschenk für seine drei Jahre alte Tochter und seinen zwei Jahre alten Sohn zu überreichen. "Hmmh", van Nistelrooy wirkte danach leicht irritiert, "das war doch nett, oder? Erst das Geschenk, dann die Küsschen ..."

Es war nett. Und symptomatisch. Denn es läuft besser als erwartet bei van Nistelrooy. In Madrid durch wiederkehrende Knieprobleme fast zwei Jahre ohne Spielpraxis schienen die Höhepunkte seiner Karriere passé zu sein. Wie viele andere alternde Weltstars zog es den 34-Jährigen von einem europäischen Topklub zu einem weniger populären, aber mit vier Millionen Euro Jahressalär gut zahlenden Klub, der einen sanften Ausklang möglich machte - vermuteten viele. Und täuschten sich. "Alle sollen wissen, dass ich noch viel vorhabe", kündigte van Nistelrooy bei seiner Ankunft in Hamburg an, "ich bin hier, um mein altes Niveau zu erreichen."

Der "ewige Ruud", wie ihn niederländische Fans rufen, hatte gesprochen. Und er ließ seinen Worten schnell Taten folgen. Bis heute bringt es van Nistelrooy auf eine Quote von sieben Treffern in zwölf Bundesligapartien.

Zahlen, die sich auch Manfred Düring ans Revers heften darf. Schließlich war es der Leistungsdiagnostiker des HSV, der van Nistelrooys erste komplette Vorbereitung seit zwei Jahren gestaltete und akribisch überwachte. Fast täglich nahm Düring die Blutwerte, spezielle Fitnessgeräte erlaubten ihm genaueste Einblicke in den Zustand der jeweiligen Muskelpartie. Drohte irgendwo Überlastung, gab es eine Pause und entsprechende Behandlungen beim jeweiligen Spezialisten. Der Plan ging auf. David Jarolim nannte van Nistelrooy bereits "ein Phänomen", Zé Roberto sieht in dem Niederländer den nächsten Torschützenkönig der Bundesliga. Und van Nistelrooy ist sich seiner Verantwortung bewusst: "Ich rede nicht so gern, ich mache lieber", so das Motto des Angreifers, das besonders im Training deutlich wird, wenn er vor dem Tor nie auf die Idee zu Experimenten kommt, sondern die Bälle humorlos einnetzt. Genau dieser Erfolgshunger veranlasste in Madrid einen spanischen Reporter, im Spaß zu behaupten, van Nistelrooy würde wahrscheinlich selbst seine Tochter beim Spielen nicht freiwillig gewinnen lassen.

Worte, die der dreimalige Torschützenkönig der Champions League als Kompliment wertet. "Ich bin sehr ehrgeizig, das stimmt", so van Nistelrooy, der sogar trotz erneuter Nichtnominierung die Nationalmannschaft nicht abhaken mag. Ob er noch mal für die Oranje aufläuft? Van Nistelrooy hofft darauf und sagt: "Das liegt nicht an mir. Unser Nationaltrainer (Bert van Marwijk, d. Red.) entscheidet das ganz allein."

Ebenso wie die Nationalelf wecken auch die mit dem HSV verpassten Champions-League-Abende beim drittbesten Torschützen der Königsklasse Sehnsüchte. "Natürlich wäre ich lieber auf dem Rasen dabei, als vor dem Fernseher zu sitzen", sagt "Rudi", wie er von den Spielern gerufen wird. Dennoch befeuert auch dieser Umstand die Motivation weiter: "Genau daraus, nicht diese Doppelbelastung zu haben, müssen wir einen Vorteil ziehen." Mit der Champions League als Ziel? "Warum nicht", so die trockene Gegenfrage. Trotz seines auslaufenden Vertrags auch mit ihm? "Wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, würde ich weitermachen. Es gäbe auch keinen Grund aufzuhören."

Im Gegenteil, auf die letzten Tage seiner großen Karriere kommen immer neue Facetten hinzu. Wie seine neu gewonnene Freistoßstärke. Van Nistelrooy: "Ich hatte das Glück und gleichzeitig das Pech, dass ich bei meinen vorherigen Vereinen immer perfekte Spezialisten im Team hatte. Jetzt sagte der Trainer zu mir: 'Schnapp dir den Ball und hau ihn rein.' Das hat fast geklappt." Gegen Schalke verhinderte nur die Querlatte einen Erfolg, gegen Torgelow im DFB-Pokal traf er ins Ziel. Seine spät erkannte neue Stärke wertet van Nistelrooy auch als Resultat seines Wohlfühlfaktors. "Unsere ganze Familie ist inzwischen richtig in Hamburg angekommen. Und ich bin endlich wieder richtig fit. Ich genieße diesen Moment, solange es geht." So wie die HSV-Fans ihn in seiner aktuellen Form. Mit oder ohne Küsschen.