HSV-Torjäger Ruud van Nistelrooy wirkt wie befreit. Er ist endlich rundum fit und genießt das Vertrauen von Trainer Armin Veh.

Längenfeld. Ruud van Nistelrooy nimmt sich Zeit. Richtig viel Zeit. Seite für Seite blättert der HSV-Torjäger durch das Fotoalbum, das ihm ein Fan in der Lobby des Teamhotels zeigt. Es sind Fotos der Stationen seines Erfolges. PSV Eindhoven, Manchester United, Real Madrid. Drei Klubs, in denen er einst Torschützenkönig wurde.

Ruud van Nistelrooy lächelt entspannt, nimmt den Fan dann für ein gemeinsames Foto in den Arm. Der Holländer wirkt wie befreit in diesen Tagen im Ötztal. Keine Spur mehr von der tiefen Frustration, die ihn in der Endphase der vergangenen Saison begleitete. "Es gab schon einige Momente, da habe ich mich gefragt, wo bist du denn hier hineingeraten", sagt er jetzt. Eine kleine Spitze gegen seinen damaligen Trainer Bruno Labbadia kann er sich dann auch nicht verkneifen: "Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Jahr wieder mehr Stürmer bin." Labbadia hatte ihn immer aufgefordert, sich die Bälle aus dem Mittelfeld zu holen.

Vorbei. Jetzt ist er wieder hier, in seinem Revier. Dem Strafraum. Beim 6:0 im Test am Sonnabend gegen den österreichischen Viertliga-Klub SV Reute schießt der einstige Welttorjäger aus allen Lagen, steuert zwei Tore zum Sieg bei. Seine Erklärung: "Ich bin einfach gut drauf, ich mache endlich wieder eine komplette Vorbereitung mit."

In den vergangenen Jahren hatten ihn Verletzungen immer wieder zurückgeworfen - so sehr, dass er in den letzten drei Spielzeiten insgesamt nur 18 Liga-Spiele bestreiten konnte.

Mit der besseren Physis ist bei van Nistelrooy auch die Sehnsucht nach dem womöglich letzten großen Erfolg seiner Karriere gewachsen. Er sieht die Perspektive: "Die Qualität ist wieder da, das macht Spaß. Mir und der Mannnschaft. Wir haben nicht mehr einen so dünnen Kader und keine Doppelbelastung." Er sagt auch: "Blabla bringt nichts, auch nicht, wenn wir sagen, dass wir Erster werden wollen. Aber wir müssen die Ziele hoch ansetzen."

Ganz anders als in der vergangenen Saison. "Wir hatten eine enttäuschende Rückrunde, die schon mit vielen Problemen begann." Einzig der Sieg in Stuttgart bei seinem Debüt, bei dem er zwei Treffer erzielt hatte, habe darüber hinweggetäuscht. Vergebens schlug der Holländer intern Alarm: "Es war nicht mehr zurückzudrehen. Und wir alle haben die Unzufriedenheit gespürt. Das war kein Brennstoff für den Erfolg."

Dieser Brennstoff ist jetzt wieder da - vor allem bei ihm. Beim Lauftrainingslager auf Sylt hatte er noch Probleme: "Ich musste schon ganz schön beißen. Aber jetzt fällt es mir leichter."

Zumal er das grenzenlose Vertrauen seines neuen Trainers genießt, der ihn gegen Reute sogar zum Kapitän machte. Unter Veh wird van Nistelrooy im taktischen 4-2-3-1-System die Rolle der einzigen Spitze besetzen. "Ruud hat immer eine sensationelle Torquote gehabt und seine außergewöhnlichen Qualitäten bewiesen", sagt Veh. Im Gegenzug adelt van Nistelrooy seinen Trainer mit einem außergewöhnlichen Lob: "Er ist ruhig, sieht alles und ist sehr direkt in seiner Ansprache. Er erinnert mich an Sir Alex Ferguson." Jenen Ferguson, der Manchester zu zwei Champions-League-Triumphen und zehn englischen Meisterschaften führte.

Mit 34 Jahren weiß der Holländer, dass er nunmehr auf der Zielgeraden seiner Karriere angekommen ist. Er wird nur noch Ein-Jahres-Verträge unterschreiben. "Lange Verträge nehmen mir die Freiheit, wann Schluss ist", sagt van Nistelrooy. Und dieser Zeitpunkt könne ganz plötzlich kommen.

Fast sicher scheint, dass er beim HSV seine Laufbahn beenden wird. Trotz des verpassten europäischen Wettbewerbs und einiger guter Angebote aus dem Ausland habe er keine Sekunde über einen Wechsel nachgedacht. Zu sehr hat er Hamburg schätzen gelernt - auch wenn für ihn die Nähe zu den Fans im Gegensatz zu den weitgehend abgeschotteten Trainingsanlagen in Manchester oder Madrid ungewohnt war: "Dafür drehen sie dann dort durch, wenn sie mal einen Spieler im Restaurant treffen. In Hamburg ist das anders, da kannst du dich frei bewegen."

Gute Voraussetzungen für den letzten großen Erfolg. Und eine neue Seite im Fotoalbum des Ruud van Nistelrooy. Diesmal im Dress mit der Raute.