Die Ukraine fühlt sich von Schiedsrichter Kassai um ein Tor betrogen. So reichte den “Three Lions“ ein Streich von Rückkehrer Rooney. Ukraine-Trainer Blochin wütend: “Sie haben uns ein Tor gestohlen“. Beide EM-Gastgeber ausgeschieden.

Donezk. Oleg Blochin schäumte vor Wut. „Sie haben uns ein Tor gestohlen. Der Ball war einen Meter hinter der Linie“, sagte der ukrainische Nationaltrainer. Es lief die 62. Minute im Spiel zwischen EM-Gastgeber Ukraine und England, als der englische Verteidiger John Terry einen Schuss von Marko Devic mit einer fulminanten Rettungsaktion von der Linie grätschte. Erst in der Zeitlupe war zu erkennen: Der Ball war vollständig hinter der Linie. Es wäre das 1:1 gewesen. Der Torrichter, der nur wenige Meter neben der Linie stand, hatte es nicht gesehen. Das Spiel endete 1:1, die Ukraine ist draußen und der Skandal ist da. Blochin war gar nicht mehr zu beruhigen. Englands Torwart war da ganz anderer Ansicht. „Es war ein Supertor von Wayne, darauf hatten wir alle gehofft“, sagte Joe Hart. Zu dem nicht gegebenen Treffer für die Ukraine wollte er nichts sagen: „Das sind Tatsachenentscheidungen.“

+++ Blochin: "Der Ball war einen Meter hinter der Linie" +++

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Das nicht gegebene ukrainische Tor war auch auf der Insel schnell ein großes Thema. Abwehrstar Rio Ferdinand vom Vizemeister Manchester United twitterte: „Das ist das Karma für das, was uns in Südafrika widerfahren ist... Der Ball war beide Male über der Linie.“ Der für die EM nicht berücksichtigte Ferdinand erinnerte damit an das WM-Viertelfinale 2010 gegen Deutschland (1:4) in Südafrika, als ein Schuss von Frank Lampard ebenfalls deutlich hinter Torlinie war, wie der Treffer des Ukrainers Marko Devic aber nicht anerkannt wurde. Für Ex-Nationalspieler Michael Owen war die Szene die „Bestätigung dafür, dass es eine totale Zeitverschwendung ist, einen weiteren Offiziellen hinter den Toren zu beschäftigen“. Er wolle sich aber nicht beschweren, denn England erreichte das Viertelfinale.

Selbst der britische Premierminister David Cameron kommentierte die Szene beim G20-Gipfel im mexikanischen Los Cabos . „Torlinien-Technik?“, fragte der Regierungs-Chef rhetorisch und flachste, „ich glaubte, es sei eine gute Idee, als Frank Lampards Tor im England-Deutschland-Spiel nicht gegeben wurde. Ich muss nun nochmals ein bisschen darüber nachdenken, erwarte aber keine totale Kehrtwendung.“

Bayern-Profi Anatoli Timoschtschuk hatte die Aufregung schnell hinter sich gelassen und präsentierte sich als fairer Verlierer. „Das war ein Schiedsrichterfehler “, sagte er gelassen, wollte dies aber nicht als Grund für das Scheitern anführen. „Wir haben alles versucht, leider hat es nicht gereicht. Die Stimmung wird auch weiter gut sein. Das hier ist schließlich eine EM, ein großes Turnier“, versprach er.

Englands Stürmer Wayne Rooney wurde seinem Ruf als Heilsbringer des englischen Fußballs gerecht und schoss die Nationalmannschaft seines Heimatlandes erstmals seit acht Jahren in das Viertelfinale einer EM-Endrunde geschossen. Der Stürmer erzielte am Dienstag in Donezk in der 48. Minute das entscheidende Tor und sorgte damit dafür, dass die Briten als Erster der Gruppe D in die Runde der letzten Acht einzogen. Dort wartet am Sonntag in Kiew Italien. EM-Debütant Ukraine hingegen ist ausgeschieden. Damit findet das EM-Viertelfinale wie schon vor vier Jahren in Österreich und der Schweiz ohne Gastgeberland statt. Am Samstag war bereits der zweite Ausrichter Polen als Letzter der Gruppe A gescheitert.

Die „Three Lions“ beschäftigten sich derweil schon mit der Aussicht auf ein nun mögliches Halbfinale gegen die gefürchtete Turniermannschaft Deutschland. „Ich bin sehr beeindruckt von der deutschen Mannschaft, besonders seit Löw am Ruder ist“, sagte Trainer Roy Hodgson. „Wenn wir Glück haben und im Viertelfinale siegen, geben wir alles, um Deutschland die Stirn zu bieten.“

Die Ukraine ging mit einer schweren Hypothek in die Partie: Kapitän Andrej Schewtschenko musste wegen einer Knieverletzung zunächst auf der Bank Platz nehmen. Seine Teamkollegen ließen sich von dem Rückschlag jedoch nicht aus dem Konzept bringen. Angetrieben von 48.700 Landsleuten in der ausverkauften Donbass Arena suchten die Ukrainer in der Anfangsphase permanent den Weg nach vorn.

Wirklich zwingende Chancen sprangen für die Gastgeber zunächst aber nicht heraus. Entweder schleppten sie den Ball ohne zündende Ideen durch das Mittelfeld nach vorn oder sie setzten auf lange Pässe in die Spitze – beides verpuffte oft wirkungslos. Die kompakt gestaffelten Engländer konzentrierten sich in der ersten halben Stunde fast ausschließlich auf ihre Deckungsaufgaben. Schließlich war Kapitän Steven Gerrard & Co. bewusst, dass ein Unentschieden zum Weiterkommen reichen würde. Auch Rooney wurde bis zur 28. Minute kaum einmal in Szene gesetzt. Dann tropfte eine Flanke von Ashley Young direkt auf den Kopf des Torjägers. Rooney gelang es jedoch nicht, den Ball aus sechs Metern ins Tor zu drücken.

Stattdessen kamen die zum Ende der ersten Hälfte zunehmend frustriert wirkenden Ukrainer noch einmal zum Zug. Schewtschenkos Vertreter Artem Milewski brachte Andrej Jarmolenko in Position, doch der Mittelfeldspieler scheiterte an Hart (30.). Stattdessen schlug Rooney unmittelbar nach dem Wiederbeginn zu. Der ukrainische Torhüter Andrej Pjatow ließ eine Flanke von Gerrard durch die Hände rutschen und Rooney staubte ohne Mühe ab. Es war sein erstes Tor bei einem großen Turnier seit 2004.

Die Führung schien vorerst kaum gefährdet. Nach gut 60 Minuten verloren die Fans der Ukraine ein wenig die Geduld. Mitten in die Rufe nach einer Einwechslung von Schewtschenko kam Devic dann aber zur besten Chance. Der Stürmer tauchte allein vor Hart auf und schoss den englischen Keeper an. Anschließend flog der Ball in hohem Bogen in Richtung Tor, wo ihn John Terry mit einer artistischen Einlage erst hinter der Linie wegschlug. Kassai und der Torrichter sahen dies zum Entsetzen von Blochin und der ukrainischen Fans im Stadion jedoch anders. Noch lange nach dem Schlusspfiff wurde über diese Szene diskutiert. Dabei erwähnte die ukrainische Seite allerdings nicht, dass dem nicht gegebenen Treffer eine Abseitsstellung von Passgeber Milewski vorausgegangen war – auch das hatte das Schiedsrichter-Gespann übersehen.

Die Gastgeber bemühten sich bis zum Schlusspfiff um den dringend benötigten Sieg. Doch auch die Hereinnahme von Schewtschenko 20 Minuten vor dem Ende konnte das Blatt nicht mehr wenden.

Statistik

England: Hart/Manchester City (25 Jahre/21 Länderspiele) - Johnson/FC Liverpool (27/39), Terry/FC Chelsea (31/76), Lescott/Manchester City (29/19), Cole/FC Chelsea (31/97) - Milner/Manchester City (26/29), ab 70. Walcott/FC Arsenal (23/27), Gerrard/FC Liverpool (32/95), Parker/Tottenham Hotspurs (31/16), Young/Manchester United (26/24) - Rooney/Manchester United (26/75) ab 87. Oxlade-Chamberlain/FC Aresenal (18/5) - Welbeck/Manchester United (21/8) ab 82. Carroll/FC Liverpool (23/6). - Trainer: Hodgson

Ukraine: Pjatow/Schachtjor Donezk (27/29) - Gusew/Dynamo Kiew (28/75), Chatscheridi/Dynamo Kiew (24/14), Rakizki/Schachtjor Donezk (22/18), Selin/Worskla Poltawa (24/9) - Timoschtschuk/Bayern München (33/119) - Jarmolenko/Dynamo Kiew (22/23), Konopljanka/Dnjpr Dnjpropetrowsk (22/22) - Garmasch/Dynamo Kiew (22/6) ab 78. Nasarenko/Twarija Simferopol (32/53) - Milewski/Dynamo Kiew (27/49) ab 77. Butko/Illitschiwez Mariupol (21/11) Devic/Metalist Charkow (28/24) ab 70. Schewtschenko/Dynamo Kiew (35/111). - Trainer: Blochin

Schiedsrichter: Viktor Kassai (Ungarn)

Zuschauer: 48.700

Beste Spieler: Gerrard, Rooney - Jarmolenko, Garmasch, Timoschtschuk

Tore: 1:0 Rooney (48.)

Gelbe Karten: Gerrard, Cole - Timoschtschuk (2), Rakizki, Schewtschenko

Torschüsse: 10:15

Ecken: 6:10

Ballbesitz: 44:56 Prozent

Mit Material von dpa und sid