Deutschland fiebert dem EM-Auftakt entgegen. Der Bundestrainer glaubt, dass es bei dieser Endrunde besonders auf die Schnelligkeit ankommt.

Danzig/Lwiw. Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. "Wir müssen jetzt los, sonst fährt der Bus zum Flughafen ohne uns ab", ermahnte am Freitag DFB-Pressesprecher Harald Stenger Assistenztrainer Hansi Flick, der am frühen Morgen noch mal ins vom Hotel Dwor Oliwski nahe gelegene Pressezentrum vorbeigekommen war, um letzte Informationen über Auf- und Einstellung vor dem Auftaktspiel gegen Portugal an diesem Sonnabend (20.45 Uhr/ARD und im Liveticker bei abendblatt.de) zu überbringen. Punkt 9.10 Uhr fuhr der Mannschaftsbus zum Lech-Walesa-Flughafen ab, und - so viel darf an dieser Stelle verraten werden - auch Flick war rechtzeitig an der Seite von Bundestrainer Joachim Löw mit im Bus und später an Bord dabei.

Im Hinblick auf den EM-Auftakt in Lwiw gegen Portugal, da sind sich Löw und Flick einig, soll das vorgegebene Tempo keinesfalls gedrosselt werden - ganz im Gegenteil. "Fußball ist mehr denn je eine Serien-Sprint-Sportart. Heute noch mehr als vor zwei Jahren", sagt der Bundestrainer, der die interne Devise ausgegeben hat, im Vollsprint über den Auftakt in Lwiw bis zum Finale nach Kiew zu gelangen.

Gegen Portugal setzt der 52-Jährige, der es abseits des Platzes gerne gemächlich angehen lässt, fast ausnahmslos auf besonders schnelle Spieler, die durch blitzartiges Kombinationsspiel die gut stehende Abwehr der Seleção ("mit den schlachterprobten Pepe und Bruno Alves im Zentrum") aushebeln sollen. Ganz vorne ist Laufwunder Miroslav Klose gesetzt, dahinter rennen rechts Thomas Müller, in der Mitte Mesut Özil und links Lukas Podolski. Im zentralen Mittelfeld teilen sich Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger die Laufarbeit, während Linksverteidiger Philipp Lahm und (der wahrscheinlich begnadigte) Rechtsverteidiger Jerome Boateng immer wieder mit nach vorne sprinten sollen. Lediglich Per Mertesacker, der neben dem pfeilschnellen Holger Badstuber verteidigt, gilt nicht als Sprintwunder.

"Wir machen uns Gedanken darüber, mit welcher Intensität wir laufen, mit welcher Geschwindigkeit wir laufen und mit welchen Sprints wir laufen", sagt Löw, "und vor allen Dingen - was im Fußball ja auch ganz entscheidend ist: in welche Richtung läuft man?"

+++ Der Knochenbrecher in Portugals Diensten +++

Unabhängig vom Auftaktspiel gegen Portugal glaubt Löw, dass das Spieltempo zum entscheidenden Faktor dieser EM werden könnte. "Früher haben wir zu langsam gespielt. Unsere Spielweise war geprägt von zu wenig Bewegung und zu wenig Handlungsschnelligkeit" sagt er und rechnet vor: "2005 dauerte es von der Ballannahme bis zum Abspiel im Schnitt noch 2,8 Sekunden. Das Spiel war langsam und in die Breite mit viel Zeitverlust angelegt. 2008 bei der EM haben wir uns auf 1,8 Sekunden verbessert, und 2010 waren es noch 1,1 Sekunden." Dabei sei es natürlich kein Zufall, dass die Welt- und Europameister aus Spanien, die genau wie die DFB-Fußballer im Schnitt ihrer sieben WM-Spiele 12,8 Kilometer unterwegs waren, beim letzten Turnier noch schneller als die Deutschen den Ball zirkulieren ließen.

Den Abstand gegenüber Spanien hat die deutsche Mannschaft aber in den vergangenen zwei Jahren minimiert. "Wir haben uns um eine andere Raumaufteilung gekümmert, um andere Bewegungsabläufe, und wir haben mehr Sprints geübt, mit und ohne Ball", sagt der Bundestrainer, der zwischen Ballannahme und Abspiel im Schnitt unter einer Sekunde bleiben möchte. "Wir haben Trainingsformen geschaffen, die das Spiel gezwungenermaßen schneller werden ließen."

Bei all der Rennerei, auch das sprach Löw in der Mannschaftssitzung vor dem Abflug nach Lwiw noch mal gezielt an, darf natürlich das Fußballspielen nicht vergessen werden. "Portugal ist von allen Mannschaften auf der Welt mit am gefährlichsten, wenn die gegnerische Mannschaft den Ball verliert", warnt der Badener, "weltweit gibt es kaum eine Mannschaft, die das schnelle Umschalten besser beherrscht als Portugal." Exemplarisch für den ausgezeichneten Konterfußball nannte Löw die Flügelstürmer Nani und Cristiano Ronaldo, der fast schon sensationelle 10,3 Sekunden für die 100 Meter braucht: "Sie sind pfeilschnell. Wir dürfen auf keinen Fall in der Vorwärtsbewegung die Bälle leichtfertig verschludern. Und in der Defensive müssen wir wachsam sein und antizipieren, nicht spekulieren."

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Selbstverständlich legt das Trainerteam bei dem am Freitag gestarteten Turnier neben Geschwindigkeit mindestens genauso großen Wert auf die Spielkultur, bei der man in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls nahe an Primus Spanien herangekommen zu sein glaubt. "Vor der WM in Südafrika hat uns kaum jemand etwas zugetraut. Das ist jetzt anders. Jetzt sind wir Titelfavorit", sagt selbstbewusst Löw-Assistent Flick, der neben den historischen WM-Spielen gegen Argentinien (4:0) und England (4:1) auch die hochklassigen Freundschaftsspiele gegen die Niederlande (3:0) in Hamburg und gegen Brasilien (3:2) in Stuttgart in Erinnerung haben dürfte.

+++ Info: Elfte EM-Teilnahme +++

Ob Deutschland aber tatsächlich bei dieser EM aus dem Schatten Spaniens treten kann, muss die mit 23,5 Jahren im Schnitt jüngste Turniermannschaft aller Zeiten zunächst erst in den drei Vorrundenspielen gegen Portugal, die Niederlande (Mi., 13. Juni) und Dänemark (So., 17. Juni) beweisen. Fehlende Routine kann trotz der jungen Mannschaft jedenfalls keine Ausrede sein, da alle Protagonisten der wahrscheinlichen Startelf bereits Turniererfahrung besitzen. Lediglich für die vier Ergänzungsspieler, Torhüter Ron-Robert Zieler, Ilkay Gündogan, Marcel Schmelzer und Benedikt Höwedes, sowie für die fünf Joker André Schürrle, Marco Reus, Lars Bender, Mats Hummels und Mario Götze wird es das erste Turnier mit der A-Nationalmannschaft sein.

Ein Großteil von den Neulingen durfte bereits im Testspiel vor zwei Wochen in Basel gegen die Schweiz erste Prä-Turnierluft schnuppern und ein Gefühl dafür entwickeln, wie schnell - und das ist an dieser Stelle wörtlich zu nehmen - die guten Vorsätze auch nach hinten losgehen können. 3:5 verlor die ohne Stammkräfte angetretene DFB-Auswahl, was Löw als "rechtzeitigen Schuss vor den Bug" titulierte. "Auch gegen die Schweiz sind wir viel gelaufen", so der Bundestrainer, "aber in die falsche Richtung." Gegen Portugal, so viel wollte Löw vor dem Abflug ins ukrainische Lwiw versprechen, soll das an diesem Sonnabend ganz anders aussehen. So schnell geht das manchmal.