Vor Deutschlands EM-Auftakt am Sonnabend steht Portugals Superstar im Mittelpunkt. Er darf sich freuen, diesmal nicht auf Lahm zu treffen.

Danzig. In den vergangenen Tagen bat Joachim Löw im deutschen Mannschaftshotel Dwor Oliwski gleich mehrfach zum Vieraugengespräch. Der Bundestrainer suchte sich ein ruhiges Plätzchen, schnappte sich der Reihe nach die Defensivakteure seiner Mannschaft und ließ jeden Einzelnen wissen, welche Gefahr beim EM-Auftakt gegen Portugal am Sonnabend in Lwiw (20.45 Uhr/ARD) unbedingt zu bekämpfen sei: Cristiano Ronaldo. "Wir haben größten Respekt vor Ronaldo. Es wird nicht möglich sein, ihn durch einen Spieler zu stoppen", sagte Löw, dessen Musketier-Taktik gegen den Superstar von Real Madrid relativ simpel klingt: Einer für alle, alle gegen Cristiano Ronaldo.

Selten zuvor hat Löw vor einem Länderspiel den Fokus so sehr auf einen einzelnen Gegenspieler gerichtet wie bei Ronaldo. Nach der Landung in Lwiw will der 52-Jährige heute Abend noch einmal die versammelte Mannschaft mit einem von Chefscout Urs Siegenthaler zusammengestellten Kurzfilm über Portugal, in dem natürlich auch Ronaldo die Hauptfigur spielt, nachdrücklich für die vielen Stärken und wenigen Schwächen des Flügelstürmers sensibilisieren. Dabei bedient sich Joachim Löw auch bei den Auswertungen der Sporthochschule Köln, die Ronaldos Spiel mit 16 Studenten bis ins kleinste Detail seziert haben: "Was er leistet, ist großartig. Ronaldo ist der Protagonist Portugals, der ein Spiel alleine entscheiden kann."

Boatengs Nachtausflug – Löw: "Das hat mir nicht gefallen"

Und obwohl Löw verlangt, Ronaldo im Kollektiv zu bekämpfen, muss er sich bis spätestens morgen noch für einen direkten Gegenspieler des exzentrischen Superstars entscheiden. Bislang hat er lediglich festgelegt, wer nicht gegen Ronaldo spielt: "Im Gespräch mit Philipp Lahm habe ich entschieden, dass er uns am meisten auf der linken Abwehrseite hilft", sagte Löw. Bayerns Jerome Boateng sei trotz seiner "Hotelzimmeraffäre" (siehe rechts) "erste Alternative" auf der rechten Abwehrseite, eine ernsthafte Option sei aber auch ein Einsatz von Leverkusens Lars Bender, den Löw bereits in Südfrankreich im Training mehrfach als Rechtsverteidiger ausprobiert hatte.

Auf den Gewinner dieses internen Zweikampfes dürfte so oder so eine echte Herkulesaufgabe warten. In 38 Ligaspielen mit Real Madrid schoss Ronaldo in dieser Saison 46 Tore, 86,8 Prozent seiner Pässe kommen zum Mann, die 100 Meter läuft er in 10,3 Sekunden. Der mit 94 Millionen Euro teuerste Spieler der Welt macht 50 Sit-ups pro Tag, hat einen Körperfettanteil von nur zehn Prozent und springt sensationelle 78 Zentimeter aus dem Stand. Und obwohl man noch eine ganze Reihe von Zahlen ergänzen könnte, zeigt sich Boateng nur wenig beeindruckt. Ronaldo möge zwar der kompletteste Spieler der Welt sein, sagte dessen mutmaßlicher Gegenspieler im Gespräch mit dem Abendblatt, der Beste sei er aber nicht: "Der Beste ist Messi, und das treibt Ronaldo an. Er will der Beste werden."

Wie man diesen Anwärter zum besten Spieler der Welt am besten in Schach hält, hat Lahm zumindest in Ansätzen vor wenigen Wochen bewiesen, als er im Halbfinale der Champions League zwischen Bayern München und Real Madrid gegen Ronaldo verteidigen musste. Zwar erzielte der Portugiese auch gegen die Bayern zwei Tore, konnte sich in Hin- und Rückspiel gegen Lahm aber nur selten durchsetzen. Einen Tipp will der Ronaldo-Bezwinger Boateng aber trotzdem nicht mit auf dem Weg geben: "Ronaldo ist beidfüssig, enorm dynamisch und hat ein unglaubliches Tempodribbling. Aber Jerome braucht keine Ratschläge. Er hat genügend Erfahrungen auf internationalem Niveau gesammelt."

Laut Sami Khedira, der ja mit Ronaldo bei Real Madrid zusammenspielt, muss man als Gegenspieler des Portugiesen ohnehin nur Dreierlei beachten: "Man muss ihn frühzeitig stellen, ihm den Platz nehmen, und vor allem muss man ihm die Lust nehmen. Er ist Portugiese - und die funktionieren ohne Lust nicht", sagte der 25-Jährige, der allerdings einräumt, wie schwer dieser Dreisatz umzusetzen ist: "Was Cristiano für ein Talent und ein Selbstvertrauen hat, habe ich kein zweites Mal bisher gesehen. Er kann einfach alles."

Doch bei allem Respekt vor dem selbst ernannten "Weltfußballer" dürfte auch ein Blick in die Vergangenheit Mut machen: Noch nie hat Ronaldo gegen die DFB-Auswahl ein Tor geschossen, und noch nie hat er gegen Deutschland gewonnen. Und das, so Löw, soll auch an diesem Wochenende so bleiben.

Wählen Sie Ihre Mannschaftsaufstellung für das Spiel gegen Portugal: