Bayern München verpasst gegen Chelsea auch den dritten Titel. Präsident Uli Hoeneß fordert mehr Charakter und kündigt Veränderungen an.

München. Arjen Robben sah aus, als würde ihn ein Migräneanfall plagen. 2.15 Uhr am Sonntagmorgen saß der Offensivstar des FC Bayern beim Bankett des Rekordmeisters im Münchner Postpalast, setzte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub seinen Kopf in den Händen. Klubchef Karl-Heinz Rummenigge begann mit seiner Rede und sagte, dass er an so einem Abend vielleicht besser daheim geblieben wäre. Robben rutschte auf seinem Stuhl weiter runter. Rummenigge sagte, die Mannschaft habe drei Matchbälle ausgelassen. Robben schaute kurz hoch und schloss die Augen. Rummenigge sagte, der Klub habe eine große Chance verpasst. Robben verschwand beinahe unter dem Tisch, klammerte sich an einen Stuhl, als könne er sich nicht mehr halten. Seine Frau Bernadien saß daneben und blickte ihn an wie eine Mutter, die sich um ihren Sohn sorgt. Robben war in diesem Moment so klein und verletzlich wie wohl nie zuvor.

Der vorangegangene Abend hat den FC Bayern schockiert - und wird ihn verändern. 4:5 (1:1, 1:1, 0:0) verlor der Klub das Endspiel der Champions League nach Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea. Engländer gewinnen gegen Deutsche im Elfmeterschießen - verkehrte Welt. Das "Finale dahoam" wurde zum "Drama dahoam". München hätte die erste Mannschaft sein können, die den wichtigsten Klubwettbewerb im eigenen Stadion gewinnt. Die Bayern hätten in dieser Saison das Tripel holen können, jetzt stehen sie ohne Titel da. Natürlich kommt da Spott: Vizekusen 2.0, scherzen die Fans anderer Klubs. "Wir haben immer über Leverkusen gelächelt, jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation", sagte Präsident Uli Hoeneß. Leverkusen hatte 2002 ebenfalls Meisterschaft, DFB-Pokalsieg und den Champions-League-Triumph im Finale gegen Real Madrid verspielt.

Für die Bayern war bislang das Endspiel 1999 in der Champions League in Barcelona gegen Manchester United die Mutter aller Niederlagen, die Engländer machten in den letzten Minuten aus einem 0:1 ein 2:1. Die Niederlage gegen Chelsea sei "noch bitterer, noch brutaler und eigentlich auch überflüssiger", sagte Rummenigge. Sportchef Christian Nerlinger: "Ein Albtraum, wie ein schlechter Film."

Enttäuschte Kanzlerin fieberte mit dem FC Bayern

Zum Abschied ist Didier Drogba noch einmal der Held

Das Drehbuch: Thomas Müller köpft Bayern in Führung (83.), Didier Drogba löst sich bei einem Eckball von Jerome Boateng und köpft das 1:1 (88.). In der Verlängerung foult Drogba Bayerns Franck Ribéry, Robben scheitert beim Strafstoß an Chelseas Torwart Petr Cech (95.). Im Elfmeterschießen führen die Bayern, doch dann pariert Cech den Schuss von Ivica Olic, Bastian Schweinsteiger schiebt den Ball an den Innenpfosten, und Drogba führt die Londoner als letzter Schütze zum Triumph. "Wir hatten eine Hand schon am Pokal", sagte Torwart Manuel Neuer und fragte sich dann: "Wann kommt mal wieder die Möglichkeit, ein Finale der Champions League zu spielen?"

Die Erkenntnisse der Saison sind für die Bayern ernüchternd: Borussia Dortmund hat ihnen national sportlich den Rang abgelaufen. Die Stars Ribéry und Robben machen auf europäischem Spitzenniveau derzeit nicht mehr den Unterschied aus - zumindest nicht im positiven Sinne. Das Finale war symptomatisch für die Spielzeit: In vielen entscheidenden Momenten der wichtigen Partien war die Mannschaft nicht konsequent genug. Mia san mia, das geht nur mit Trophäen. "The winner takes it all", sagte Hoeneß.

Er ließ beim Bankett den Blick durch den Saal schweifen. Hinter Hoeneß ging Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, zu den Spielern und tröstete sie. Der Postpalast war voller Ehrengäste wie Günter Netzer oder Edmund Stoiber, und trotzdem war Hoeneß allein. Der Sieg hätte sein Lebenswerk gekrönt. Ihm war anzumerken, wie ihn die Niederlage aufwühlte. "Ich habe einige Dinge gesehen, die mir nicht gefallen haben", sagte er.

Was meint Hoeneß? Ein Aspekt dürfte die Szene vor dem Elfmeterschießen gewesen sein. Trainer Jupp Heynckes fragte, wer schießen will. Anatoli Timoschtschuk wollte wohl nicht, der ausgewechselte Thomas Müller redete lautstark auf ihn ein. Auch andere Feldspieler wie Toni Kroos drängten sich offenbar nicht gerade auf, und so trat Neuer zum dritten Strafstoß an. "Ich bin eingesprungen", so Neuer. Fehlte seinen Kollegen der Mut? Lähmte sie so kurz vor dem Erfolg die Erwartungshaltung der Verantwortlichen und Fans? Kampf, Willen und Einsatz der Spieler seien "okay" gewesen, sagte Rummenigge. Okay genügt für den großen Triumph nicht.

Die Bayern spielten in dieser Saison oft hervorragend, 73 Punkte in der Bundesliga und Siege über Real Madrid und Manchester City sprechen für sich. Aber was nutzt es? Hoeneß sagte: "Auf Dauer habe ich keine Lust, immer Platz zwei zu belegen. Das ist kein Zustand, den ich akzeptieren kann. Einmal kann das passieren, aber zweimal, dreimal ..."

Rund 60 Millionen hat sein Klub in dieser Saison in der Champions League eingenommen. Für die neue Spielzeit hat er Verteidiger Dante von Borussia Mönchengladbach, Mittelfeldtalent Xherdan Shaqiri vom FC Basel und Ersatztorwart Tom Starke von der TSG Hoffenheim verpflichtet. Aber das genügt noch nicht. Die Bayern wollen sich weiter verstärken. Eine Transferoffensive wie 2007 - damals holte der Rekordmeister Ribéry (25 Millionen Euro), Miroslav Klose (15 Millionen Euro), Marcell Jansen (14 Millionen Euro) sowie Luca Toni (elf Millionen Euro) - soll es trotz allem aber nicht geben.

Die Vereinsführung stellt offenbar fest, dass es dem Team weniger an Qualität als an einigen Charakterzügen fehlt. Giftig sein, Erfolge erzwingen, total an sich glauben. Im Finale, klagt Hoeneß, habe er keinen gesehen "wie Jens Jeremies, der dem Gegner schon beim Einlaufen in die Waden beißt".

Solche Spielertypen gibt es kaum mehr. Dortmund hat sich diese Mentalität als Mannschaft geschaffen, das muss auch das Ziel der Bayern sein. Heynckes will seinen bis 2013 gültigen Vertrag erfüllen. Dass er Müller nach seinem Tor gegen Daniel van Buyten auswechselte, war verständlich, erwies sich aber nicht als hilfreich.

Die ersten Spieler verließen nach einer knappen Stunde das Bankett. Was Fußballprofis in der schlimmsten Nacht ihrer Karriere denken, wissen nur Fußballprofis. Ihre Gesichter ließen es erahnen: Fußball ist mein Leben, meine Liebe. Warum nur kann er so grausam sein? Und da war Wut. Auf sich selbst.

Am Dienstag spielen sie in einem Freundschaftsspiel gegen die Niederlande. Lust dürfte derzeit keiner darauf haben, als Ablenkung ist die Partie aber wohl gar nicht schlecht. Denn Sportchef Nerlinger sagte das, was in dieser Nacht alle spürten: "Das ist keine Niederlage, die du an einem Abend abstreifst. Diese Niederlage wird uns verfolgen."