Nicht vor Freitag werden Schweinsteiger und Co. ins EM-Trainingslager nach Frankreich kommen. DFB-Psychologe soll Münchens Verlierern helfen.

Tourrettes. Die wenigen Fans der Nationalmannschaft, die sich am Sonntag weder vom Nieselregen noch vom grünen Sichtzaun rund um den Trainingsplatz im südfranzösischen Tourrettes abschrecken ließen, konnten beim gestrigen Vormittagstraining des DFB-Teams zumindest aus der Ferne keine Auffälligkeiten erspähen. Ein offenbar bestens gelaunter Joachim Löw spielte sich kurz vor Trainingsbeginn mit Torwarttrainer Andreas Köpke den Ball vergnügt hin und her, gab im Taktiktraining lautstark die Kommandos und fragte Torwart Tim Wiese nach einer misslungen Parade im Spaß, wie viel er eigentlich wiege. Wie sehr Bayerns verlorene Champions-League-Finale aber auch den Bundestrainer beschäftigte, konnte man erst nach der lockeren Trainingseinheit erahnen, als DFB-Manager Oliver Bierhoff das gemeinsame TV-Erlebnis vom Vorabend noch einmal rekapitulierte. "Es war eine große Stille und Betroffenheit da", erinnerte er sich an den Moment nach Bastian Schweinsteigers verschossenen Elfmeter, den Bierhoff und Löw gemeinsam mit dem DFB-Tross im Salon des luxuriösen Teamhotels Terre Blanche verfolgt hatten. "Fußball ist manchmal brutal", sagte Löw, "der Stachel saß auch bei uns tief."

Viel wichtiger als der enttäuschte Blick zurück sei nun aber der entschlossene Blick nach vorne. Deswegen will Löw noch heute Kontakt mit "dem ein oder anderen Spieler" aus München aufnehmen und dann entscheiden, ob die Bayern-Profis sogar noch später als ohnehin schon geplant zur Nationalmannschaft stoßen werden. Ursprünglich sollten die acht noch fehlenden Bayern drei Tage nach deren abschließendem Freundschaftsspiel gegen die Niederlande am Freitag eingeflogen werden. "Wenn ich das Gefühl habe, dass der ein oder andere Spieler eine längere Pause braucht, dann wird er sie bekommen. Es macht keinen Sinn, die Spieler möglichst schnell integrieren zu wollen", sagte der Trainer, der auch auf die Hilfe von Teampsychologe Hans-Dieter Hermann zurückgreifen will. Der Diplompsychologe, der seit 2004 im DFB-Betreuerstab dabei ist, soll den geknickten Münchnern den Glauben an die eigene Stärke zurückgeben. "Der eine sucht das offene Gespräch, den anderen muss man vielleicht ein wenig dazu ermuntern und den Dritten sollte man möglicherweise lieber auch ganz in Ruhe lassen", sagte Bierhoff, der zudem daran erinnerte, dass weder Bayerns verlorenes Champions-League-Finale 2010 noch Leverkusens historische Dreifachpleite im Endspurt der Saison 2002 Auswirkungen auf die jeweils anschließenden erfolgreichen Weltmeisterschaften gehabt hätten.

Joachim Löw eröffnet Phase zwei der EM-Vorbereitung

Madrilenen angekommen

Dabei erscheint allerdings fraglich, ob zumindest der Vergleich mit Bayerns verlorenem Endspiel vor zwei Jahren gegen Inter Mailand tatsächlich zulässig ist. Immerhin durfte sich der Rekordmeister vor der WM in Südafrika über ein gewonnenes Double freuen, wodurch die Finalniederlage in Madrid etwas einfacher zu verkraften war. Und trotzdem setzt Bierhoff darauf, dass "der gute Mannschaftsgeist" die Dreifachverlierer aus München wieder aufrichten wird: "Die Luftveränderung wird ihnen guttun. Mit uns können sie ja noch einen Titel gewinnen."

Damit das Projekt EM-Sieg durch Bayerns Niederlage auch wirklich nicht in Gefahr gerät, werden Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Jerome Boateng, Toni Kroos, Manuel Neuer, Holger Badstuber, Mario Gomez und Thomas Müller nach ihrer Ankunft in Südfrankreich zunächst ganz offiziell nur mit Samthandschuhen angefasst. Lediglich Badstuber, der gegen Chelsea gesperrt fehlte, soll bereits beim Testländerspiel gegen die Schweiz am Sonnabend in Basel dabei sein. Der Rest der Bajuwaren darf zunächst an der Riviera bleiben, individuell trainieren und sich auf den Ausflug zum Formel-1-Rennen im nahe liegenden Monaco am Sonntag freuen. Dort warte die "pure Abwechslung" auf die Münchner, versprach Bierhoff, "sobald die EM beginnt, haben dann alle wieder den Kopf frei."