Olympia-Gold für Diskuswerfer Robert Harting (Foto), Schock beim Gewichtheben: Matthias Steiner, Olympiasieger von Peking, fiel die 196 Kilo schwere Hantel in den Nacken. Silber gab es für Marcel Nguyen (Barren) und Fabian Hambüchen (Reck), für Maximilian Levy (Keirin) und die Dressurreiter. Damit machte das deutsche Team gestern Boden gut. Doch welche Aussagekraft hat die Platzierung in der Nationenwertung wirklich?

Hamburg. China und die USA liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Medaillenspiegel bei den Olympischen Spielen in London. Großbritannien nutzt seinen Heimvorteil, die Fans tragen ihre Sportler jeden Tag zu Höchstleistungen und weiteren Goldmedaillen. Dahinter kämpfen Südkorea und Russland um die Plätze. Und Deutschland rangelt mit Kasachstan, Italien und Frankreich um eine gute Platzierung. Was sagt der olympische Kampf um Gold, Silber und Bronze über die Leistungsfähigkeit einer Nation?

Eine ganze Menge, wenn es nach dem Hamburger Professor Wolfgang Maennig geht. "Auf Sicht müssen die Chinesen bei Olympischen Spielen regelmäßig die meisten Medaillen gewinnen, alles andere wäre unnormal", sagt der Volkswirt von der Universität Hamburg.

Maennig hatte vor den Spielen, wie bereits vor vier Jahren, die Anzahl der Medaillen für die einzelnen Länder in London prognostiziert. "Platz eins sollte diesmal noch mit 96 Medaillen an die USA gehen, knapp vor China mit 91 und Russland mit 66 Medaillen." Auf Platz vier sah Maennig Großbritannien mit 60 Medaillen, danach werde es eng zwischen Australien (40), Frankreich und Deutschland (je 38). So weit die Vorhersagen. Wolfgang Maennig, der mit dem Deutschland-Achter 1988 in Seoul die Goldmedaille gewonnen hat, nennt als wichtigste Faktoren für seine Berechnungen die Größe eines Landes. "Sie bestimmt die Anzahl an sportlichen Talenten." Außerdem die Wirtschaftskraft, das Pro-Kopf-Einkommen, den Bildungsstand und das technische Wissen. "Ein Land, das gute Autobauer hat, kann dieses Wissen natürlich auch im Sport anwenden."

Weiterer Faktor für sportlichen Erfolg sei die Frauenemanzipation in einer Gesellschaft. "Arabische Länder, die kaum Frauen zu den Spielen schicken, haben von vornherein nur halb so viele Medaillenchancen", sagt Maennig.

Nicht zu unterschätzen sei auch der Heimvorteil. Er äußert sich in der Unterstützung durch die Fans und die daraus resultierende zusätzliche Motivation der Athleten. "Außerdem investieren die Ausrichter oder die zukünftigen Gastgeber von Olympischen Spielen sehr viel in den Sport", sagt Sebastian Otten, Wirtschaftswissenschaftler von der Ruhr-Universität in Bochum. So habe China vor den Spielen in Peking mehr als 4,5 Milliarden Dollar für die Sportförderung ausgegeben, um die USA als Sportsupermacht abzulösen. Ottens Expertenteam hat ebenfalls vor den Spielen in London den Medaillenspiegel prognostiziert. Nach Auswertung zahlreicher statistischer Daten erwarten die Bochumer Wissenschaftler China mit 102 Medaillen vor den USA (100), Russland (71) und den britischen Gastgebern (57).

Das deutsche Team dagegen, das in Barcelona 1992 noch 82 Medaillen und in Peking 41-mal Edelmetall gewinnen konnte, werde auf 36 Medaillen abrutschen. Was vor allem daran liegt, dass andere Nationen mächtig aufholen. Maennig findet es sympathisch, dass auch "Nationen wie Kasachstan oder Äthiopien den Sport entdecken, um ihren Anspruch in der Welt geltend zu machen". Er möchte aber auch angesichts der bisherigen deutschen Medaillenbilanz die Frage diskutieren, wofür unsere Gesellschaft steht. "Sind wir noch der Spitzenleistung verpflichtet?", fragt er.

Aus seinen Beobachtungen im Sport und seinen Erfahrungen an der Universität zieht der Ruder-Olympiasieger den Schluss: "Das Streben nach Höchstleistung hat in Deutschland nachgelassen." Der Mut, Zeichen zu setzen oder über seine Grenzen zu gehen, sei hierzulande geringer geworden.

Andererseits sei ein Medaillenspiegel eben nur begrenzt aussagefähig, was die Leistungsfähigkeit eines Landes angehe. So liegt Kasachstan mit bisher sieben Medaillen, davon sechs aus Gold, bisher weit vor Japan, zu dessen 29 Medaillen nur zwei goldene zählen. Außerdem ist das Geburtsland vieler Athleten heute nicht mehr identisch mit der Nation, für die sie starten.

"Und bevor wir Bilanz ziehen, müssen wir unbedingt das Abschneiden der deutschen Kanuten abwarten", sagt Wolfgang Maennig. Die starten heute - und könnten zur Höchstform auflaufen.