Nach der Nullnummer im Aquatics Centre liegt es an den Freiluftschwimmern. Thomas Lurz geht als Medaillenkandidat in das Rennen.

London. Im Becken des Aquatics Centre gingen die deutschen Schwimmer leer aus, jetzt soll im Freiwasser Edelmetall her. Rekord-Weltmeister Thomas Lurz ist ein Kandidat für Gold. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht er über Ziele, Rangeleien im Wasser und Haie.

Wie haben Sie noch in der Heimat das Beckenschwimmen verfolgt?

Thomas Lurz: Ich habe alle Beckenwettkämpfe natürlich verfolgt, und es gab schon auch ein paar Überraschungen international gesehen.

Und den Rekord-Olympioniken Michael Phelps hatten Sie ja schon im Vorfeld gelobt...

Lurz: Das ist die größte olympische Leistung, ganz klar, und da kommt auch nichts dran. Manche Sportler sagen, beim Schwimmen gibt es so viele Entscheidungen. Auch meiner Meinung nach sind es zu viele. Aber wer wie er in Peking so unterschiedliche Disziplinen wie 100 Meter Schmetterling und 400 Meter Lagen gewinnt – das ist außergewöhnlich.

Der amerikanische Superstar hat alles gewonnen, Sie fast alles. Wie schwer ist es für einen zehnmaligen Weltmeister eigentlich, sich selbst immer noch zu motivieren?

Lurz: Leider habe ich noch nicht alles gewonnen. Olympia-Gold fehlt ja noch. Von daher ist noch Raum für Motivation.

Klingt ein bisschen, als wenn nur Gold in London zählt?

Lurz: So will ich es nicht sagen, auch wenn wir natürlich an den Start gehen und gewinnen wollen. Aber wenn ich Zweiter werden würde, wäre es nicht so, dass ich heulend aus dem Weiher renne und sage: Das ist die größte Enttäuschung meines Lebens.

Von Außen kann man es sich nur vorstellen, aber was geht beim Freiwasserschwimmen eigentlich unter Wasser ab?

Lurz: Es gibt schon Rangeleien, jeder möchte den bestmöglichen Weg schwimmen. Da kommt es schon mal vor, dass einer halb über einen drüber schwimmt, einer auf der Hüfte des anderen hängt, mal an der Wade hängt, die Füße sich berühren. Aber alles in allem war es in meinen Augen für mich immer fair. Ich habe nur einmal in meinem Leben die Erfahrung gemacht, dass mich einer mal an der Fußfessel richtig festgehalten hat. Natürlich berührt man sich und haut sich mal auf den Kopf, aber meistens ist es unabsichtlich.

Und was macht den Spaßfaktor aus? Der Erfolg?

Lurz: Gewinnen macht natürlich immer Spaß, und in dem Moment, wo man gewinnt, vergisst man auch die restlichen 3000 Kilometer oder mehr, die man in einem Jahr geschwommen ist. Und gewisse Rennen sind auch schöner als im Schwimmbad: In Cancun im Meer, in manchen Seen. Ein Schwimmbad ist überall auf der Welt im Prinzip gleich: Die Luft ist überall muffig und schlecht, die Fliesen immer gleich. Langstreckenschwimmen ist anders. Selbst der selbe Ort kann bei unterschiedlicher Witterung ganz anders sein.

Was ist dann anders?

Lurz: Der eine findet es zu hart, der andere zu dreckig, der nächste zu kalt. Es macht Spaß, sich auf neue Herausforderungen einzustellen. Aber es dürfen gewisse Grenzen nicht überschritten werden, die Sicherheit der Schwimmer darf nicht gefährdet sein. Wir sind ja keine Extremschwimmer, die ums Überleben schwimmen, sondern Leistungssportler.

Wo Sie die Sicherheit ansprechen: Haben sich die Bedingungen nach dem Tod des Amerikaners Francis Crippen im Oktober 2010 gebessert?

Lurz: Ja. Es gibt bessere Regularien, mehr Sicherheitsboote auf dem Wasser, vereinzelt Taucher an Bojen, denn es kann ja sein, dass einer einen abkriegt und bewusstlos untergeht. Die Sportart ist gefährlich. Vielleicht macht es Sinn, bei Weltmeisterschaften ab einer bestimmten Größe die Startfelder zu begrenzen. Denn in der Masse von Menschen fällt nicht auf, wenn wirklich einer fehlt. Aber es hat sich insgesamt gebessert seit dem tragischen Vorfall.

Was ist Ihnen auf bei ihren vielen Siegen eigentlich schon alles im Wasser begegnet?

Lurz: Alles. Tote Schildkröten, Haie, Holzpaletten, sämtliche Fischarten, Delfine – alles mögliche. Vom wirklich schönen bis zum Teil sehr unangenehmen.

Haben Sie Angst, wenn Ihnen ein Hai entgegenkommt?

Lurz: Es ist nicht angenehm, aber im Wettkampf interessiert es mich gar nicht. Man nimmt es kaum wahr und man gewöhnt sich dran. Auch wenn es was anderes bleibt, ob man im Hafenbecken in Hongkong, wo Riesenschiffe reinkommen, hinter den Hai-Netzen schwimmt oder in Berlin im Bad an der Landsberger Allee.

Wie ist das Wasser in London?

Lurz: Letztes Jahr nach dem Test-Event war ich drei Tage krank. Viele Enten und Schwäne sind da auf dem See, es ist kein Wasserdurchlauf und dann kann man sich ja vorstellen, was da los ist. Aber ich denke, dass es für die Olympischen Spiele besser sein wird.

Und nach London steht das Ende der großen Karriere an?

Lurz: Das entscheidet natürlich auch London mit, aber ich habe noch nicht großartig weitergedacht. Ich kann nur schon sagen, dass ich definitiv nicht am 11. August aufhören werde. Ob ich dann aber noch vier Jahre bis Rio weiter schwimme – da habe ich mir noch in keinster Weise Gedanken drüber gemacht. Da entscheiden auch wirtschaftliche Gründe wie Sponsorenverträge, die Zugehörigkeit zur Bundeswehrsportfördergruppe. Man muss vom Sport auch leben können. Und die WM ist 2013 in Barcelona; das ist ja um die Ecke...

Und dann kommt die Heim-EM in Berlin 2014...

Lurz: Das wäre ein Ziel: Zum Karriereabschluss zu Hause spitze sein. Aber dann sagt man sich vielleicht wieder, bis Olympia in Rio sind es auch nur noch zwei Jahre. Aber das ist ja alles noch theoretisch.

Und den nach-olympischen Urlaub verbringt man dann am Wasser oder kann das dann nicht mehr sehen?

Lurz: Ach, Urlaub kann schon am Wasser sein, aber ich bin seit 2000 nicht mehr weggefahren. Ich muss mal nach London schauen, wie das hier bei Olympia gelaufen ist. Aber danach gibt es ja auch noch Weltcups und eine EM.

(dpa/abendblatt.de)