“Puuh, ich bin gerade ausgeraubt worden, während ich mit Leichtathletik-Fans beschäftigt war“, twitterte der 27-jährige Berliner in der Nacht nach seinem Olympiasieg im Diskuswerfen. Erst um 7 Uhr am nächsten Morgen hatte Harting Ersatz.

London. Diskus-Ass Robert Harting ist wenige Stunden nach seinem Olympiasieg in London bestohlen worden. „Puuh, ich bin gerade ausgeraubt worden, während ich mit Leichtathletik-Fans beschäftigt war“, twitterte der 27-jährige Berliner auf Englisch in der Nacht zum Mittwoch. „Alle Akkreditierungen und Ausrüstung wurden mir geklaut. Ich hatte sie abgelegt, als ich mich den Gästen gewidmet habe. Danach bin ich nicht mehr ins olympische Dorf gekommen. Ich habe nur eine Stunde in der S-Bahn auf dem Stuhl geschlafen“, sagte Harting der Bild-Zeitung. „Robert hat mich 5.15 Uhr angerufen und mir gesagt, dass er die Akkreditierung verloren habe“, erzählte Leichtathletik-Sportchef Thomas Kurschilgen der Nachrichtenagentur dapd am Mittwoch, während der Diskuswurf-Olympiasieger noch den dringend nötigen Schlaf in seinem 30 Zentimeter zu kurzen Bett nachholte.

Der Doppel-Weltmeister war nach seinem Gold-Triumph erst ins Deutsche Haus gefahren und hatte sich danach mit Freunden aus Berlin auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Deutschland“ getroffen. Wie der Sprecher des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) am Mittwoch mitteilte, hat Harting bereits eine neue Akkreditierung erhalten und wieder Zugang zu allen olympischen Einrichtungen. „So gegen 7.00 Uhr“ schilderte Kurschilgen, sei es gelungen, Ersatz zu beschaffen.

Zuvor hatte Harting seiner Karriere mit dem Olympiasieg die Krone aufgesetzt. Nachdem der Welt- und Europameister mit dem goldenen Wurf von London das Triple perfekt gemacht hatte, gab es für den Hünen aus Berlin kein Halten mehr. Der 27-Jährige riss sich sein Trikot vom Leib, legte sich die Deutschland-Fahne um die Schultern und machte Freudensprünge über die Hürden auf der Laufbahn. „Das ist absolut geil gerade“, sagte Harting im ZDF-Interview: „Ich freue mich für Deutschland und Berlin“, erklärte er strahlend im Regen..

Mit sieben PS im Arm und einer Abwurfgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern schnellte sein Diskus beim Siegeswurf in den Londoner Nachthimmel. Die Vorgabe des 2,01 Meter großen Athleten konnte in einem dramatischen Finale auch der bis dahin mit 68,18 Metern führende Iraner Ehsan Hadadi nicht mehr überbieten. Der WM-Dritte wurde mit dieser Leistung Zweiter. Bronze ging mit 68,03 an den Esten Gerd Kanter, den Olympiasieger von Peking 2008.

„Das ist der Olympiasieger, auf den wir fest gebaut haben. Wie er den Druck ausgehalten hat, ist fantastisch. Es lastete der Druck einer ganzen Leichtathleitk-Nation auf ihm“, sagte Thomas Kurschilgen, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Martin Wierig aus Magdeburg kam bei seinem Olympia-Debüt mit 65,85 Metern auf den sechsten Platz. „Ich habe geschafft, was ich mir vorgenommen habe“, kommentierte er.

Vor Hartings Siegeswurf war der letzte goldene Olympia-Tag für die deutsche Leichtathletik der 29. September 2000, als in Sydney die Weitspringerin Heike Drechsler gewann. Der letzte Diskus-Olympiasieg lag noch weiter zurück: 1996 in Atlanta wurde Lars Riedel gefeiert. Davor gelang dies nur noch Rolf Danneberg (1984) und Jürgen Schult (1988).

„Ich will dieses verdammte Gold“, hatte der 27-jährige Berliner gesagt, als im Herbst 2011 sein stark lädiertes Knie das goldene Olympia-Projekt in Gefahr brachte, „und wenn ich später im Rollstuhl sitze.“ Mit der zweitbesten Weite von 67,79 Metern startete er gut ins Finale – 39 Zentimeter fehlten aber auf den führenden Hadadi. Im zweiten Durchgang schleuderte der Hüne aus Berlin die Scheibe ins Fangnetz, das Nervenspiel war eröffnet. Ein solider dritter Versuch (67,27 Meter) und ein schwächerer vierter (66,45) folgten – es wurde eng.

Im fünften Versuch schockte ihn dann auch noch Kanter mit einem kraftvollen Versuch auf 68,03 Meter, mit dem der Olympiasieger von Peking Harting auf den Bronze-Rang zurückwarf. Doch der Berliner erwies sich als Champion, schlug selbst zurück und durfte Minuten später ausgelassen jubeln.

Gold war programmiert, es war Hartings 29. Sieg in Serie. In diesem Jahr hat keiner weiter geworfen als der sechsmalige deutsche Serienmeister: Erstmals in seiner Karriere durchbrach der Olympia-Vierte von 2008 mit der Zwei-Kilo-Scheibe die 70-Meter-Marke. Einmal landete sie sogar bei 70,66 Meter. Nur 3,42 Meter fehlen noch zum weitesten Wurf aller Zeiten.

„Der Weltrekord ist für uns viel weniger ein Thema als für die Öffentlichkeit“, sagte Harting-Trainer Werner Goldmann. „Öfter 69,70 Meter zu werfen, ist für mich mehr Nachweis von Klasse, als auf einer Segelwiese einen Weltrekord zu erzielen.“ Statt 74,08 Meter weit wie im Juni 1986 der Schweriner Jürgen Schult zu werfen, sammelt Harting lieber Titel. Nach WM- und EM-Sieg ist der Goldgewinn an der Themse die dritte Glanztat innerhalb von 365 Tagen.

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Frage: Sie sind als der große Favorit in das Diskus-Finale gegangen. Warum haben sie es so spannend gemacht?

Robert Harting: Ich habe es nicht spannend gemacht, sondern der britische Kampfrichter. Man hat gesehen: Den ersten Wurf wollte ich nicht werfen, weil die 800 Meter anstanden. Ich musste trotzdem ran und beim zweiten Wurf waren die Leute so laut, ich konnte nicht denken. Beim dritten musste ich meine Scheibe im Ring ablegen, weil der Kampfrichter meinte, das Handtuch liege zu dicht am Ring. Es sind drei Würfe im olympischen Finale, da sind die Hälfte der Würfe weg, da ist es schwer in den Wettkampf reinzukommen.

Neben dem Deutschland-Achtern und den Reiter galten sie als der Topfavorit auf den Olympiasieg. Wie haben Sie diesen Erfolgsdruck empfunden?

Harting: Ich bin jetzt extrem befreit. Druck war nichts Neues für mich. Aber in der Form, in der Dimension, in der Intensität war es schon sehr neu. Ich wusste aber auch, was ich kann, dass ich gut in Form bin und wenn ich einen erwische, dann haben es die anderen schwer.

Erst im fünften Versuch ist Ihnen die Siegerweite von 68,27 Meter gelungen. Wie haben Sie sich dafür motiviert?

Harting: Der Este Gerd Kanter hat mit seinen 68,03 Metern die Initialzündung für mich gegeben. Da wurde ich endlich wach. Irgendetwas muss ich nun mal machen.

Jetzt sind Sie Olympiasieger. Ist das auch eine Befreiung?

Harting: Das war so ein hartes Jahr. Es ist ein wunderschöner Moment, es hat sich viel gelohnt, das Beißen und Kämpfen. Schön das die Belohnung nun da ist. Ich habe alles getan. Ich bin erstmal sehr zufrieden und freue mich auf die nächsten Tage als Welt- und Europameister und Olympiasieger.

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Wie stark hat Sie ihr lädiertes Knie gehandicapt?

Harting: Das Knie tut weh wie im letzten Jahr. Da wird eine Behandlung notwendig sein. Was die Zukunft dieses Themas angeht, will ich dem keinen Raum geben, weil ich schon soviel über das Knie gesprochen habe. Zehn Versuche kann ich gut belasten, dann wird es anstrengend. Das eigentliche Problem war heute im Wettkampf, dass die Beine immer schwerer wurden. Man konnte richtig fühlen, wie der Zweifel vom Zeh an immer höher rutschte bis zum Knie und bis zur Hüfte.

Einmal mehr haben Sie ihr Nationaltrikot zerrissen...

Harting: Es ist meine Art des Feierns und die Gefühle rauszulassen. Ich habe es schon bei der WM in Berlin und Daegu gemacht. Diesmal hatte ich es angekündigt.

Nach dem fünften Versuch lagen Sie mit 68,27 Metern in Führung. Der Iraner Ehsan Hadadi, bis dahin an der Spitze liegend, hatte noch einen Wurf. Wie haben Sie diesen Moment des Banges erlebt?

Harting: Das war ein sehr unangenehmes Gefühl, weil ich auch nichts mehr machen konnte. Als sein Diskus in die Luft abhob, dachte ich, der sieht gar nicht so schlecht aus. Er hat aber die eigentliche Steigphase nicht beschritten, so dass ich davon ausgehen konnte, dass es reicht.

Auf der Ehrenrunde sind sie über die Hürden gelaufen. Wie kamen Sie auf diese verrückte Idee?

Harting: Das war auch ein bisschen emotional für mich. Die Kampfrichter am Hürdenstart wollten es mir verbieten. Sie haben mich ein wenig provoziert, deshalb habe ich es gemacht. Es war einfach ein Spaß.

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Sie sind jetzt ein Mega-Sportstar in Deutschland. Sind Sie auch ein Kandidat für die "Sportler des Jahres“-Wahl?

Harting: Ich bin derjenige, der die Leistung generiert hat. Das versuche ich so gut wie möglich darzustellen. Natürlich bestehe ich nicht auf irgendwelche Ehrungen, schon gar nicht, wenn es irgendwelche großen Institutionen sind. Ich fände es schön, wenn die Leute das so sehen und das honorieren würden.

Mit Material von dpa, dapd und sid