Zahlreiche deutsche Sportler üben Kritik am System und führen das schwache Abschneiden bei Olympia darauf zurück. Ein Überblick.

London. Zu wenig Geld, verkrustete Strukturen, kein Konzept: Die Ursachenforschung für das vergleichsweise schwache Abschneiden des deutschen Olympia-Teams in London läuft auf Hochtouren. Den Vorwurf der mangelnden Leistungsbereitschaft lassen die Athleten sportartübergreifend nicht gelten - sie verweisen auf Fehler im System.

Allen voran Diskus-Olympiasieger Robert Harting. „Wir vergleichen uns in der Wirtschaft mit sämtlichen Ländern, wir sind für den Euro immens wichtig, und wir setzen politisch Maßstäbe. Warum sollen wir uns nur in der Sportförderung nicht mit anderen vergleichen dürfen?“, fragte der 27-Jährige: „Jeder redet über Geld, aber wenn Sportler es tun, bekommen sie einen übergezogen.“

Am Mittwochmorgen hatte bereits Bahnradsprinter Maximilian Levy, der in London Silber im Keirin und Bronze im Teamsprint gewonnen hatte, das deutsche System kritisiert: „Von der Förderung her sind wir hoffnungslos unterlegen. Wir schaffen es nur über unsere deutsche Disziplin dranzubleiben“, sagte Levy: „Im ganzen deutschen Sportsystem muss sich etwas grundlegend ändern. Die Frage ist doch: Will die Gesellschaft sportlichen Erfolg - oder will die Gesellschaft nur Fußball und Formel 1 gucken?“

Zu wenig Förderung - ein in den Tagen von London häufig ausgesprochener Vorwurf. Auch Kanu-Olympiasieger Sebastian Brendel kritisierte nach seinem Sieg am Mittwoch die aktuelle Praxis. „Es gibt auf jeden Fall bessere Förderungssysteme. Wenn wir wollen, dass der deutsche Sport in den nächsten Jahren erfolgreich ist, müssen wir mehr investieren“, sagte der Goldgewinner im Einer-Canadier am Dorney Lake.

„Im Vergleich mit den Strukturen in den anderen westeuropäischen Ländern sind wir Amateure. Da haben wir einen Standortnachteil“, sagte Säbelfechter Nicolas Limbach: „Alle wissen das, und es wird absolut verkannt.“

Die Aussagen der Athleten werden von harten Fakten untermauert. Schon eine 2010 erhobene Studie förderte ernüchternde Ergebnisse zutage. Demnach verdient ein deutscher Spitzenathlet im Schnitt 1919 Euro brutto im Monat und damit weniger als die deutsche Gesamtbevölkerung. Dem gegenüber steht eine deutlich höhere Arbeitsbelastung. So sind die Athleten im Schnitt 60 Stunden pro Woche tätig. Umstände, über die Sportler aus anderen Ländern wohl nur den Kopf schütteln würden.

DOSB-Generalsekretär Michael Vesper brachte im Gespräch mit dem Nachrichtensender N24 ein verstärktes Engagement der Wirtschaft ins Gespräch: „Ich wünsche mir von der Wirtschaft, dass große Unternehmen erkennen, welchen Gewinn ein Spitzensportler, ein Olympiasieger oder Medaillengewinner für das eigene Unternehmen hat. Das wären Investitionen in die Zukunft.“

Ein weiterer Vorwurf von Athletenseite lautete: Mangelnde Nachwuchsförderung und schlechte Rahmenbedingungen für Trainer. „Die Sportler müssen eingebettet sein in ein System, in dem sie und die Trainer sich hundertprozentig auf ihren Sport konzentrieren können. Wir müssen in Zukunft erheblich mehr für die Förderung tun, das fängt schon in der Schule an“, sagt Jürgen Hingsen, deutscher Rekordhalter im Zehnkampf: „Aber das Thema haben wir in Deutschland ja auch verpasst.“

Mit Spannung wird die Olympia-Nachbetrachtung des DOSB erwartet. „Erst brauchen wir die Analyse. Wir haben bereits unseren klaren Bedarf deutlich gemacht. Aber das ist ein Thema für die Zeit nach dem Schlusspfiff“, sagte DOSB-Sportdirektor Bernhard Schwank.

Kanu-Präsident Thomas Konietzko sieht aber auch die Verbände in der Pflicht. „Kein Präsident wird sagen, wir haben zu viel Geld. Es ist aber genügend Geld im System. Wir stellen hohe Ansprüche lieber an uns selber“, sagte Konietzko.

Ein paar Millionen mehr werden aber sehr wahrscheinlich die Probleme auch nicht lösen - vor allem, wenn innerhalb der Verbände die Baustellen so offensichtlich sind wie zuletzt bei den Schwimmern und Badmintonspielern. Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV), in London vier Tage vor dem Ende der Spiele noch ohne Edelmetall, leistete auf seiner Pressekonferenz einen Offenbarungseid, Badmintonspielerin Juliane Schenk lieferte sich mit ihrem Verband eine öffentliche Schlammschlacht. Und Volleyballer Georg Grozer kritisierte eine schlechte Vermarktung durch den DVV.

(abendblatt.de/sid)