DFB-Interimspräsident: „Wir lassen uns nicht einschüchtern“
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Paris/Frankfurt . Länderspiel gegen Niederlande findet statt – deutsche Nationalmannschaft will ein Zeichen für Gemeinschaft und Solidarität setzen.
Am frühen Sonntagnachmittag fiel die Entscheidung: Der deutsche Fußball wird mit dem Länderspiel gegen die Niederlande in Hannover (Di., 20.45 Uhr/ZDF) seine Verbundenheit mit der auf brutale Weise verletzten französischen Nationdokumentieren. Laut „Bild“ wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem kompletten Kabinett in die Arena in der niedersächsischen Landeshauptstadt kommen.
„Die Botschaft ist klar: Wir lassen uns nicht vom Terror einschüchtern“, sagte DFB-Interimspräsident und Delegationsleiter Reinhard Rauball. „Dass die Mannschaft wenige Tage nach den schlimmen Erfahrungen beim Länderspiel in Paris wie geplant gegen die Niederlande aufläuft, ist ein gebotenes Zeichen. Der Respekt für diese Demonstration der Solidarität mit den Opfern und dem gesamten französischen Volk gebührt Bundestrainer Joachim Löw und jedem einzelnen Spieler.“
Nachdem auch Sprengsätze in unmittelbarer Nähe des Pariser Stade de France detoniert waren, hatte der DFB die Austragung des Freundschaftsspiels zunächst infrage gestellt – und sich dann doch für die Durchführung entschieden. „Wir wollen als Mannschaft ein Zeichen der Gemeinschaft setzen. Mit dem französischen Volk, mit den Angehörigen der Opfer. Das gesamte Team – Spieler, Trainer und Betreuer – ist immer noch stark betroffen“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff. „Dennoch wissen alle, dass es wichtig ist, ein Zeichen zu setzen und sich als Nationalmannschaft für unsere Werte und Kultur einzusetzen.“
„Nous sommes unis“ („Wir sind vereint“), lautete die deutliche Botschaft nach der eiligen Rückkehr von der Frankreich-Reise. Sichtlich gezeichnet verließen die Nationalspieler am Sonnabendmorgen nach der Landung um zehn Uhr in Frankfurt die von der Lufthansa kurzfristig nach Paris umdirigierte Sondermaschine. Löw schickte seine Spieler nach Hause zu den Familien. Dort sollten der auch am Sonntag noch „fassungslose“ Kapitän Bastian Schweinsteiger und seine Kollegen „erst mal durchatmen und bei ihren Liebsten sein können“, sagte Bierhoff.
Fieberhaft hatte der DFB-Stab in der Nacht zum Sonnabend daran gearbeitet, die Spieler ganz schnell nach Deutschland zu bringen. Eine Rückkehr ins Mannschaftshotel kam aufgrund der unklaren Sicherheitslage nicht infrage. Im Stadion fühlte man sich am besten geschützt. Eine rund siebenstündige Heimreise mit dem Bus nach Deutschland wurde ebenfalls als Alternative verworfen.
Rauball klingelte sogar Bundesinnenminister Thomas de Maizière aus dem Bett. Der CDU-Politiker bemühte sich um eine Maschine der Luftwaffe, die aber erst am Sonnabendmittag in Paris hätte eintreffen können. Die Lufthansa war schneller.
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Zunächst hieß es, die Weltmeister hätten das Stadion um 2.15 Uhr in Kleinbussen verlassen. Das stellte sich später als von Sicherheitsgründen motiviertes Manöver heraus. Mit einer Polizeieskorte wurde die Nationalmannschaft vom Stade de France um 6.30 Uhr zum Flughafen Charles de Gaulle gebracht. Die Lufthansa-Maschine stand auf dem Rollfeld ganz weit abseits des Flughafengebäudes bereit – bewacht von Polizisten mit Maschinengewehren. Bis zum Start verging noch eine Stunde, dann waren auch Fans, Sponsoren und Journalisten an Bord.
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Was nach der fürchterlichen Terrornacht von Paris auch in Erinnerung bleiben wird, ist der Zusammenhalt zwischen den deutschen und französischen Fußball-Nationalspielern. Die „Équipe Tricolore“ harrte nach dem Testspiel in den Katakomben des Stade de France an der Seite der Weltmeister aus. „Nationaltrainer Didier Deschamps hat sofort gesagt, er geht mit seiner Mannschaft aus dem Stadion heraus, wenn klar ist, was mit unserer Mannschaft passiert“, schilderte DFB-Interimschef Rainer Koch im ZDF die Geschehnisse im Kabinentrakt: „Sie sind stundenlang bei uns gewesen.“ Rauball bewertete die solidarischen Aktionen der Gastgeber als „eine überragende kollegiale und kameradschaftliche Haltung“. Frankreichs Verband bot sogar Zimmer im eine Stunde Fahrtzeit entfernten Quartier der eigenen Mannschaft im Trainingszentrum Clairefontaine an.
Zwar lagen in der deutschen Mannschaftskabine einige Matratzen, aber an Schlaf war im Stadion nicht zu denken. Manche beteten, andere hörten Musik, wieder andere versuchten, sich im Gespräch abzulenken. Besonders im Vorraum hatten sich Spieler, Betreuer und Funktionäre beider Mannschaften immer wieder ausgetauscht. „Wir waren betrübt, betroffen, als immer größere Todeszahlen bei uns eintrafen, die ersten Bilder kamen“, berichtete Koch. Es sei im Kabinenbereich „eigentlich immer stiller geworden“. Die „Druckwellen“ bei den Detonationen außerhalb des Stadions seien bis auf die Ersatzbank zu spüren gewesen, hatte Rauball in Gesprächen mit Spielern erfahren. In der 17. Minute war die erste Explosion zu hören, drei Minuten später, beim zweiten Knall, war sogar Jubel aufgebrandet, weil viele Zuschauer an einen Böller glaubten.
In den schwierigen Stunden wurde besonders Bierhoff („Die Spieler waren sehr ängstlich“) zum Krisenmanager im Kreise der Weltmeister. Koch lobte den ehemaligen Nationalspieler nach der Rückkehr nach Deutschland. Er sei derjenige gewesen, „der großartig immer mit den Spielern gesprochen hat, der sie informiert hat, beruhigt hat und auch immer wieder darauf hingewiesen hat, dass jeder Kontakt mit seinen Liebsten zu Hause halten soll“. Heute Vormittag trifft sich das Team wieder in Barsinghausen, Löw und Bierhoff treten um 13 Uhr vor die Presse. Um den Sport wird es dabei kaum gehen. Sehr wohl aber um die Kraft, die Fußball entfalten kann.