Mit enormer Gewaltbereitschaft organisierten serbische Hooligans die Krawalle in Genua, die zum Spielabbruch führten.

Genua. Verängstigte Spieler in der gegnerischen Kabine, Leuchtkugeln im Mannschaftsbus, Jagdszenen auf den Straßen und im Stadion, hasserfüllte Hooligans und scheinbar machtlose Polizisten: Die Eskalation der Gewalt im internationalen Fußball hat beim abgebrochenen EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua durch ganz offenkundig organisierte Krawalle von Balkan-Hooligans neue Dimensionen erreicht.

"Die Drahtzieher sitzen in Belgrad. Das ist ein Angriff auf unseren Staat", erklärte der aufgebrachte serbische Verbandspräsident Tomislav Karadzic. Auch Serbiens Sportministerin Snezana Samardzic-Markovic geißelte nach dem zweiten Spielabbruch in der über 50-jährigen EM-Historie wegen Gewaltexzessen die Ausschreitungen: "Diese Vandalen haben große Schande über Serbien gebracht und unserem mühselig wieder aufgebauten Ansehen einen schweren Schlag versetzt."

Offenbar herrschte rund um das Stadion große Gefahr. Die Behörden in der italienischen Hafenstadt sprachen von 16 Verletzten und 17 Verhaftungen, dazu wurden 35 Anzeigen gegen serbische Rowdys aufgesetzt und eine Person wegen Widerstandes gegen die Polizei im Schnellverfahren abgeurteilt. Auch ein 18 Jahre alter Fan des einheimischen FC Genua wurde mit drei Monaten Gefängnis belegt. Die Europäische Fußball-Union (Uefa) leitete eine Eiluntersuchung ein. Im schlimmsten Fall droht der serbischen Nationalmannschaft ein Ausschluss von der EM-Qualifikation.

Die bizarre Spirale der Gewalt war am Dienstagnachmittag in Gang gekommen. Schon vor dem Spiel attackierten 30 mit Knüppeln und Feuerwerkskörpern bewaffnete Hooligans von Roter Stern Belgrad den Mannschaftsbus - und versuchten, den früheren Sterne-Torwart Vladimir Stojkovic wegen seines Wechsels zum Lokalrivalen Partizan anzugreifen. Stojkovic hatte schon seit Wochen Morddrohungen erhalten. Nur dank des beherzten Eingreifens von Kapitän Stankovic und Goalgetter Nikola Zigic konnten die Krawallmacher aus dem Bus befördert werden. Im Stadion schlugen der gesamten Mannschaft blanker Hass und spürbare Gewaltbereitschaft entgegen. Völlig entnervt suchte Stojkovic sogar in der Kabine der Gastgeber Zuflucht und offenbarte Italiens verblüfftem Nationaltrainer Cesare Prandelli weinend seinen Verzicht auf einen Einsatz. Aufgrund anhaltender Krawalle der Serben auf den Rängen mussten beide Teams vor Anpfiff nochmals in die Katakomben, ehe der Anstoß mit 35 Minuten Verspätung erfolgen konnte. Als Italiens Keeper Emiliano Viviano allerdings in der siebten Minuten von einem Knallkörper getroffen wurde, entschloss sich Schiedsrichter Craig Thomson (Schottland) nach längeren Beratungen zum Abbruch.

Unter Kontrolle bekam die Polizei die Lage erst in den Nachtstunden. In kleinen Gruppen transportierten Busse die Hooligans unter Polizeibegleitung aus Stadt und Land. Zuvor hatten "die Bestien" (Gazzetta dello Sport) die Carabinieri mit Knallkörpern, Steinen und Glasflaschen beworfen sowie mit Tränengas beschossen.

"Wir schämen uns zutiefst", schrieb Serbiens Botschaft in Rom an Diplomaten, und Serbiens Regierung sandte eine Entschuldigung an Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi. Italiens Trainer Prandelli zeigte sich schockiert. "So etwas habe ich noch nie gesehen. Die serbischen Spieler hatten alle Angst und erzählten, dass alles vor dem Spiel geplant worden ist. Stojkovic traut sich nicht einmal nach Belgrad zurück."

Bei der Ursachenforschung für das Gewaltszenario herrscht noch Unklarheit. Besorgnis erregt besonders die Theorie sowohl serbischer als auch italienischer Innenpolitiker, dass Gegner eines EU-Beitritts Serbiens die Fußbalbühne vorsätzlich zur Beschädigung von Belgrads Image missbraucht haben sollen. Zudem geriet die italienische Polizei unter Druck. Die Carabinieri wirkten ohnmächtig. "Eine Gruppe von Gewalttätigen genügt - und die Zivilgesellschaft muss kapitulieren", schrieb "Tuttosport". Medienberichten zufolge haben die Behörden Hinweise auf die geplante Anreise von rund 400 rechtsextremistischen und gewaltbereiten Randalierern nach Genua unterschätzt. Gezielt sollen Serbiens Sicherheitskräfte vor der mutmaßlichen Absicht der Hooligans zur Verhinderung der Spielaustragung gewarnt haben. Der italienische Verband FIGC wies die Berichte zurück. "Man hat uns über die Zahl der anreisenden Fans, nicht über ihre Gefährlichkeit informiert. Diese Leute hätten niemals einreisen dürfen", sagte der FIGC-Sicherheitsbeauftragte Roberto Massucci.