Mit einem deutschen Trainer, einem Zweitliga-Spieler aus Oberhausen und 20.000 Fans will Kasachstan dem Löw-Team Paroli bieten.

Astana. Um exakt 22.40 Uhr Ortszeit war es gestern so weit: Joachim Löw betrat kasachischen Kunstrasen. Vor dem letzten EM-Qualifikationsspiel des Jahres in Astana (19 Uhr/ZDF, Liveticker bei abendblatt.de ) gab der Bundestrainer seinen Spielern zu später Stunde die Chance, sich an die vergleichsweise kurzen Halme zu gewöhnen. Leicht erkennbar, dass das Breitenmaß des Spielfelds so gerade den Mindestanforderungen entspricht. Über die Flügel die Abwehr Kasachstans zu überwinden dürfte angesichts der Enge schwierig werden. Gefragt sein wird ein schnelles Flachpassspiel, um das Jahr mit der Optimalausbeute von zwölf Punkten zu beenden.

Es ist ein Spiel der Gegensätze: hier die Fußball-Großmacht Deutschland, Dritter in Weltrangliste und Weltmeisterschaft, dort der Weltranglisten-126. Kasachstan. Dessen deutscher Trainer Bernd Storck rechnet mit 20 000 Zuschauern trotz des späten Anstoßes um 23 Uhr Ortszeit. Gegen Belgien hatten sich nur 9000 Besucher in der Arena verloren. Eine heißblütige Atmosphäre erwartet Löws Team dennoch nicht: "In Almaty wäre die Begeisterung weitaus größer, Astana ist keine Fußball-Hochburg", sagt Storck. Zudem liegt der Eintritt zwischen 13 und 80 Euro - viel angesichts eines Durchschnittseinkommens von 300 Euro im Monat.

Dennoch stuft der 47-Jährige die Begegnung gegen seine Heimat "als das größte Spiel in der Geschichte dieses Landes" ein. Gegen die DFB-Auswahl könnte es aber auch um seine persönliche Zukunft gehen. Sein Vertrag läuft Ende 2010 aus, und der Verteidigungsminister Kasachstans, der zugleich das Amt des Fußballverbandspräsidenten bekleidet, hatte drei Punkte in den ersten vier Qualifikationsspielen gefordert. Um diese Vorgabe zu erfüllen, müsste Kasachstan gegen Deutschland gewinnen, da die ersten Partien gegen die Türkei (0:3), Österreich (0:2) und Belgien (0:2) punkt- und torlos endeten. Wie enttäuscht der Verband über die bisherigen Resultate ist, zeigt auch der Protest bei der Uefa gegen die Schiedsrichteransetzungen. "Man hat hier das Gefühl, dass die eher jungen, unerfahrenen Unparteiischen für die großen Nationen pfeifen", erklärt Storck, der mit der Teilnahme an der EM 2016 in Frankreich langfristigere Ziele verfolgt. "Seit 2009 befinden wir uns in einem Umbruch mit einer jungen, talentierten Mannschaft", sagt er und hofft auf eine Weiterbeschäftigung. Allerdings sind die Strukturen im Ligabetrieb des neuntgrößten Landes der Welt noch längst nicht so professionell wie bei der Nationalmannschaft. Um Mängel wie fehlende Jugendleistungszentren abzubauen, schloss Kasachstans Verband in diesem Jahr einen Kooperationsvertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund ab, der auch einen Austausch bei der Trainer- und Schiedsrichterausbildung beinhaltet.

Storck, dem ehemaligen Profi (Bochum, Dortmund) und früheren Assistenten Jürgen Röbers (Hertha, Wolfsburg), fehlen Spieler mit internationaler Erfahrung. Der Deutsche Heinrich Schmidtgal ist deshalb schon als Exot zu bezeichnen. Dass der 24-jährige Mittelfeldspieler von Rot-Weiß Oberhausen heute für Kasachstan spielt, ist das Ergebnis einer Internetrecherche Storcks. Als der Coach die Spieler in der Ersten und Zweiten Bundesliga hinsichtlich ihrer Geburtsorte überprüfte, stieß er auf Schmidtgal, dessen Eltern von Issyk nach Deutschland übersiedelten, als der Junge zwei Jahre jung war. Weil in einem präsidial geprägten Staat wie Kasachstan mit nur einer im Parlament vertretenen Staatspartei die Behördenwege vergleichsweise kurz sind, hielt der Mittelfeldspieler über Nacht einen neuen Pass in den Händen.

Den unwirklichen Charme dieser im Sprinttempo wachsenden Metropole wird Schmidtgal erst im Laufe der nächsten Monate kennenlernen - die DFB-Kicker, mit Holger Stromberg sogar ihren eigenen Koch dabeihaben, werden von Kasachstan so gut wie nichts mitbekommen. Dabei würde sich zumindest ein Kurzbesuch lohnen.

Wer auf dem Bajterek-Turm in 97 Meter Höhe steht, inmitten der endlosen Steppe Kasachstans, der glaubt beinahe eine Fata Morgana zu erblicken. Die glitzernden Neubauten des Regierungshäuser, der Banken und imposanten Einkaufshäuser, eingesäumt von riesigen, am Reißbrett entworfenen Prachtstraßen, zeugen von der Vision des auf Lebenszeit gewählten Präsidenten. 1997 wurde das zuvor bedeutungslose Aqmola (Weißes Grab) von Nursultan Nasarbajew in Astana (Hauptstadt) umgetauft. Seitdem wuchs die heute 700 000 Einwohner zählende Retortenstadt bei zehn Milliarden Dollar Baukosten im Sprinttempo - erst 2030 soll das gigantische Städteprojekt inklusive Naherholungsgebiet und künstlichem See abgeschlossen sein.

In der Kuppel des Bajterek-Turms, der wie ein Weltpokal aussieht, können Besucher ihre Hände in die Abdrücke Nasarbajews, der auf Lebenszeit gewählt ist, legen und sich etwas wünschen. Vielleicht, ja vielleicht wird ein Mann namens Storck ja heute dort noch im Vorfeld des Spiels gesichtet.