Die deutschen Frauen rechnen sich in fünf Disziplinen Chancen auf eine Medaille aus. Gleich viermal heißt die Kandidatin dafür Maria Riesch.

Garmisch-Partenkirchen. Maria Riesch stand ganz oben auf dem Podium, die deutsche Fahne wurde gehisst. Langsam, wie immer bei Siegerehrungen, und aus den schlecht ausgesteuerten Lautsprechern dröhnte die deutsche Nationalhymne, knisternd zwar, aber immerhin. Unten, bei den Zuschauern, standen Siegfried und Monika Riesch, die Eltern, sie waren aufgeregt, Mama Riesch hatte Tränen in den Augen und hielt Papa Riesch am Oberarm. Dann gab sie Kommandos, stumm, aber strikt: Komm, Maria, Hand auf die Brust, die Nationalhymne! Maria verdrehte die Augen, aber Mama Riesch gewann, und Maria Riesch legte dann doch ihre Hand aufs Herz, ganz patriotisch.

Das ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, es war in Cortina d'Ampezzo, Maria Riesch hatte soeben ihr erstes Skirennen nach ihrer langen Verletzungspause gewonnen. Heute ist es anders: Siegfried und Monika Riesch sind jetzt entspannter, wenn Maria auf dem Podest steht. Sie stand ja schon ziemlich oft da oben seitdem. Maria Riesch, 24, aus Garmisch-Partenkirchen, ist Deutschlands Skifahrerin Nummer eins, sie ist sogar mehr als das: derzeit Gesamtweltcup-Zweite und nach Jahren der Mittelmäßigkeit endlich wieder die Hoffnung, dass eine Deutsche um die großen Siege im Skizirkus mitfährt. Für die morgen beginnenden Weltmeisterschaften in Val d'Isere sagt Alpindirektor Wolfgang Maier: "Bei den Frauen haben wir in fünf Disziplinen eine Chance auf eine Medaille." In vier davon heißt "wir": Maria Riesch.

Sie selbst sagt: "Ich will eine Medaille bei der WM, die Farbe und die Disziplin sind mir egal." Sollte sie ohne Medaille zurückkommen, wäre das eine riesige Enttäuschung, für sie, für die Mannschaft, den Deutschen Skiverband, ja für alle. Die Konkurrenz rechnet fest damit, dass sie im Slalom Gold holt, mindestens im Slalom, außerdem, sagt die Gesamtweltcup-Führende Lindsey Vonn, "holt Maria den Disziplin-Weltcup im Slalom". Maria Riesch hat von sieben Slalomrennen vier gewonnen, jetzt, kurz vor der WM, in Garmisch Zweite. Dort hat man gut sehen können, wie das so ist, wenn man als Hoffnung der Nation vor einer WM steht.

Maria Riesch hat eine eigene Wohnung im Ortsteil Garmisch, nicht allzu weit vom Gudiberg entfernt, wo die Slalomwettbewerbe ausgetragen werden. Sie ist sehr heimatverbunden, ihre Eltern sind bei vielen Rennen dabei, und die meisten Mitglieder des Maria-Riesch-Fanklubs aus Garmisch kennt sie persönlich. "Wenn da Tausende unten stehen, die einen kennen", hat sie vor dem Rennen gesagt, "da ist der Druck schon größer." Sie kann das weitgehend ausblenden, Skifahrer haben gelernt, wie das geht: Die meisten schließen vor dem Start die Augen, dann fahren sie mit den Händen durch die Luft, sie fahren die Strecke im Geiste, danach läuft alles automatisch. Aber vor und nach dem Rennen, da ist es anders. Da spürt Maria Riesch, wie sehr es auf sie ankommt im deutschen Skirennsport.

Als das Rennen vorbei war und Maria Riesch hinter ihrer Freundin Lindsey Vonn Zweite wurde, da sprach sie strahlend davon, dass "ein Traum in Erfüllung" gegangen sei, sie war ganz aufgebracht vor Glück, und ihr Trainer Mathias Berthold sagte: "Mir ist die ganze Zugspitze vom Herzen gefallen." Der Druck, Maria Riesch fügte das noch hinzu, "der war nämlich schon groß".

Es gab Zeiten, da hat sie dieser Druck behindert: Das war gleich nach ihrem zweiten Comeback. Sie hat sich ja zweimal das Kreuzband gerissen, einmal im rechten, einmal im linken Knie, beim zweiten Mal hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Manche sagen, sie hätte sich die Kreuzbandrisse auch deshalb zugezogen, weil sie sich jahrelang nur auf ihr Talent verlassen hätte, zu wenig trainiert hätte, und ein bisschen stimmt das wohl auch.

Dann kam Cortina vor einem Jahr, der Super-G - ihr erster Sieg nach der Verletzung, ihre erste Siegerehrung. Da war zu sehen, wie groß ihre Erleichterung war: wegen der Erkenntnis, dass sie es doch noch kann. Aber irgendwie hat diese Erkenntnis auch Druck ausgeübt auf Maria Riesch. Es war eine erfolgreiche Saison für sie, am Ende wurde sie Gesamtweltcup-Dritte, doch ihr fehlte oft die Gelassenheit, die Selbstzufriedenheit.

In diesem Jahr ist das anders. Sie lebt jetzt bewusster, wirkt athletischer, und sie ist nicht mehr so verbissen. Sie hat gelernt, als Hoffnung zu leben. Wenn man sie auf den Kurs am WM-Hang anspricht, der schwierig werden dürfte, dann lächelt sie, zuckt mit den Schultern und sagt: "Wenn man gut drauf ist, macht einem kein Hang und keine Kurssetzung was aus, und ich bin gut drauf."

Bei der WM 2003 in St. Moritz war sie noch zu jung, 2005 in Bormio war sie verletzt, und 2007 in Are kam nach den Verletzungen zu früh. 2009, Val d'Isere, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, endlich, Maria Riesch ist sich da ganz sicher.