In unserer Serie stellen wir Stormarner Unternehmen vor. Alexander Sulanke hat sich an der Industriestraße umgesehen.

Der kleine Junge, vielleicht vier, vielleicht fünf Jahre alt, spielt zwischen Brennblase und Abfüllmaschine. Es sind die späten 60er-Jahre in Bad Oldesloe, auf einem Bauernhof an der Hamburger Straße. Sein Zuhause. Der kleine Junge ist der Sohn vom Chef. Er weiß noch nicht, dass die Tage der Oldesloer Kornbrennerei an ihrem alteingesessenen Standort gezählt sind. 1971 wird der Vater, Harald Ernst, den Betrieb ins neue Industriegebiet im Süden der Stadt umsiedeln. Der kleine Junge weiß noch nicht, dass er rund 25 Jahre später der Chef werden wird.

Mittlerweile ist er seit 16 Jahren Chef. Industriestraße 27, erster Stock. Thomas Ernst (44) lehnt sich in seinem Lederstuhl zurück. Versonnenheit mischt sich in seinen Gesichtsausdruck, wenn er über seine Kindheit auf dem Bauernhof spricht, der die Keimzelle der August Ernst GmbH mit heute 60 Mitarbeitern. August Ernst, der Urgroßvater, gründete die Brennerei 1898. "Zunächst als Nebenbetrieb zur Landwirtschaft", sagt Thomas Ernst. Bismarcksche Gesetze hatten das gefördert - nicht in erster Linie zum Zwecke der Alkoholerzeugung, sondern wegen eines Abfallprodukts des Destillationsprozesses: Schlempe, äußerst eiweißreich. "Das ist gutes Viehfutter", sagt Thomas Ernst.

Die sogenannte Rohbrandkolonne ist das Reich von Christoph Schacht (29), dem Brennmeister. Er ist der Mann, der beides herstellt: Alkohol und Schlempe. Der dem Getreide Wasser zugesetzt, später Gerste und dann noch Hefe, sodass bei der Vergärung Zucker in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt wird. Der die vergorene Masse, sogenannte Maische, zum Kochen bringt. Oben in der Kolonnenspitze wird der Alkohol aufgefangen, abgekühlt und wieder verflüssigt.

Unten bleibt die Schlempe zurück. Und die ist immer noch von Bedeutung für die Bauern. "Die nach wie vor enge Verbindung zur Landwirtschaft, das ist der Geist, der sich durch unser Unternehmen zieht", sagt Thomas Ernst, "wir verarbeiten den Weizen der ortsansässigen Bauern, und sie verfüttern unsere Schlempe an ihr Rindvieh."

Christoph Schacht beginnt erst wieder zu brennen, wenn traditionell am 1. Oktober das sogenannte Brennjahr beginnt. Denn Alkohol wird sinnvollerweise nur in den Wintermonaten gebrannt. Dann ist der Weizen geerntet, dann kühlt das Kühlwasser effektiver, dann kann die Schlempe frisch an das aufgestallte Vieh verfüttert werden. "Spätestens im April stellen wir das Brennen wieder ein", sagt Thomas Ernst.

Der bis dahin erzeugte Rohstoff wird das ganze Jahr über weiterverarbeitet. Das ist die Aufgabe von Destillateurmeister Ralf Hapke (52) und seinen Mitarbeitern. Zu denen zählt auch Christoph Schacht, sofern er nicht brennt. Sie befreien den Rohbrand durch eine weitere Destillation von unerwünschten Geschmacks- und Geruchsstoffen, vermählen verschiedene Feindestillate miteinander und setzen Wasser zu, bis der Alkohol seine Trinkstärke erreicht hat. Fertig ist der Korn.

Es ist ein Job, in dem es auf eine gute Nase ankommt. In dem auch mal probiert werden muss. Und in dem Ideen für neue Produkte ein Muss sind - echte Schnaps-Ideen. Hapke ist seit 27 Jahren im Betrieb. "Er hat mir das Destillieren beigebracht", sagt Thomas Ernst. Er könnte seinen Korn also selbst herstellen. So wie der Urgroßvater.

Der fertige Korn lagert in fünf 93 000-Liter-Tanks, bevor er inFlaschen gefüllt wird und die Flaschen in Kartons gepackt werden. Von dort geht's ins Lager, das eine Art Freihandelszone ist. Thomas Ernst deutet auf eine Linie auf dem Boden und erklärt: "Erst, wenn die Ware diese Linie passiert, wird die Branntweinsteuer berechnet." 13,03 Euro pro Liter reinen Alkohols, 2,79 Euro für eine 0,7-Liter-Flasche Korn.

Außer dem Korn hat die Firma, die die Marken Specht, Meeraner und Greizer übernommen hat, zahlreiche Mixgetränke, Obstbrände, Liköre und Wodkasorten im Angebot. Fünf Prozent der Produktion gehen ins Ausland. 30 Länder in aller Welt werden beliefert.

"Oldesloer" aber ist das Flaggschiff, ist nach den Worten des Chefs die meistverkaufte Kornmarke in Deutschland. Hamburg und Schleswig-Holstein mit 60 Prozent Marktanteil und Mecklenburg-Vorpommern (20 Prozent) seien die Hauptabsatzgebiete. "Korn ist flüssige Kultur", sagt Thomas Ernst. Da ist er wieder, der versonnene Blick. Vielleicht denkt der Chef gerade wieder an seine Kindheit auf dem Bauernhof.

In der nächsten Folge stellen wir Lindab in Bargteheide vor. Alle bisher erschienenen Folgen stehen im Internet unter www.abendblatt.de/stormarn