Nach dem Mord an Nachtschwester Vasthi G. in Großhansdorf geht es um die Frage, wen Mitschuld trifft. Haus Rümeland ist geschlossen.

Großhansdorf/Lübeck. Der Mord an der Heilerziehungspflegerin Vasthi G. im Großhansdorfer Haus Rümeland beschäftigt erneut die Justiz. Gut anderthalb Jahre nach der Bluttat und zehn Monate nach dem Mord-Urteil gegen den Täter Martin H. geht es nun um die Frage, wer Mitverantwortung am Tode der damals 23-Jährigen haben könnte. Im Fokus: die damalige Heimleiterin Sabine O., die das Wohnheim für psychisch Kranke mittlerweile geschlossen und Insolvenz beantragt hat. Die Staatsanwaltschaft Lübeck führt ein Ermittlungsverfahren gegen sie. Die Sprecherin der Anklagebehörde, Wenke Haker-Alm, bestätigt den unter dem Aktenzeichen 705 JS 24143/11 geführten Fall. "Es geht um den Verdacht der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen", sagt sie auf Anfrage.

"Es wird ermittelt, immerhin", sagt der Mainzer Rechtsanwalt Niko Brill, der die Interessen der Angehörigen des Opfers vertritt. Ins Rollen gekommen ist das aktuelle Verfahren allerdings erst durch eine Strafanzeige, die Geschwister der getöteten Vasthi G. gestellt haben. Sie hatten, ebenso wie ihr Anwalt, schon während des Mordprozesses im Herbst vergangenen Jahres und in den Wochen danach - letztlich vergeblich - immer wieder darauf gesetzt, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus Ansätze für weitere Ermittlungen sehen würde: mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen in dem Wohnheim für psychisch kranke Menschen etwa, zu lasche Aufsicht oder das Fehlen einer straffen Organisation.

Mängel, die der verurteilte Martin H. nicht als Mängel empfunden hatte. Ganz im Gegenteil. Der Lübecker Kriminalbeamte Michael Passon, der den damals 27-Jährigen in den Tagen nach der Tat stundenlang vernommen hatte, sagte im Mordprozess: "Er ist im Haus Rümeland gut zurechtgekommen, weil er so viele Freiheiten hatte."

An Beispielen für diese als "Freiheiten" empfundenen Zustände mangelte es während des Prozesses nicht. Martin H., von der Heimleiterin als "nett und hilfsbereit" beschrieben und gern als günstiger Handwerker für kleinere Renovierungsarbeiten im Haus eingesetzt, besaß etwa einen Werkzeugkasten. Und neben seinem Bett in Zimmer 11 soll stets eine rote Brechstange gelegen haben, ein sogenannter Kuhfuß. Martin H. besaß auch einen Ersatzschlüssel für den Personal-Ruheraum, er hatte ihn zwei Monate vor der Tat an sich genommen. Dass der Schlüssel weg war, wurde zwar registriert, das Schloss aber nicht ausgetauscht.

+++ Mörder war einen Tag und eine Nacht auf der Flucht +++

Mit dem Schlüssel verschaffte sich Martin H. in der Nacht zum 18. März 2010 Zutritt zum Ruheraum, dann schlug er mit seinem roten Kuhfuß auf den Kopf der schlafenden Vasthi G. ein.

Zu seinen "Freiheiten" zählte auch, dass er vom Firmenrechner im Büro des Hauses Rümeland unbemerkt auf der Internetseite der Fremdenlegion surfen konnte. Dass es ihm möglich war, auf einem weiteren Computer - ebenfalls unbemerkt - ein Tagebuch zu führen, in dem er offensichtliche Wahnvorstellungen notierte. Und dazu zählte auch, dass er in seinem Zimmer Kriegsfilme anschauen konnte. Die zwei letzten unmittelbar vor dem Mord.

Über allem steht die Frage, was die Heimleitung über die Vita des zuvor schon wegen mehrerer Gewalttaten auffällig gewordenen und vorbestraften Mannes wusste, was sie hätte wissen müssen - und ob sie Martin H. überhaupt gewachsen war.

War die Aufnahme eines Klienten mit Bewährungsauflagen eine Premiere für das Haus, in dem geistig und seelisch Erkrankte lebten? "Wenn man es so sagen will, ja", sagte Heimleiterin Sabine O. seinerzeit vor Gericht. Da bezeichnete sich die gelernte Arzthelferin und Altenpflegerin mit Fortbildung zur Heimleiterin als "Nicht-Psychiaterin mit einer kleinen, wenn ich es so sagen darf, Berufserfahrung".

+++ Lebenslang für Mörder von Nachtwache Vasthi? +++

Mittlerweile ist das Haus Rümeland geschlossen. Zwischen den Pflastersteinen auf der Auffahrt sprießt das Unkraut, das graue Gebäude wirkt noch trostloser und ungepflegter als in der Vergangenheit. "Die Bewohner sind in anderen Einrichtungen untergekommen", sagt Astrid Matern, Chefin der Heimaufsicht in der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe. Über die Gründe der Schließung dürfe sie nichts sagen, so Matern. Nur so viel: Sie sei nicht behördlich veranlasst worden. Möglicherweise sind finanzielle Schwierigkeiten der Grund für das Aus. Beim Amtsgericht Reinbek ist über das Vermögen der Sabine O. ein Insolvenzverfahren (Az.: 8 IN 117/11) eröffnet worden. Von Branchenkennern ist zu hören, dass sich eine Einrichtung mit lediglich zwölf Betreuungsplätzen heute nicht mehr wirtschaftlich führen lasse. Die Personalkosten seien einfach zu hoch.

Ex-Heimleiterin Sabine O. ist für eine Anfrage dieser Zeitung nicht zu erreichen gewesen.