Zum Auftakt des Mordprozesses gegen Martin H. wird das Motiv des Täters deutlich. Im März tötete er in Großhansdorf eine Pflegerin.

Lübeck. Er war verliebt in Vasthi. Als er aber zu der Überzeugung gelangte, dass sie seine zögerlichen und zaghaften Avancen nicht nur zurückgewiesen, sondern ihn deshalb auch noch ausgelacht hatte, tötete er sie. Diese Erkenntnis steht am Ende des ersten Verhandlungstages gegen Martin H., der die Heilerziehungspflegerin am 18. März während ihrer Nachtschicht im Großhansdorfer Haus Rümeland, einer Wohneinrichtung für psychisch Kranke, erschlagen hatte. Seit gestern muss sich der 27-Jährige vor dem Landgericht Lübeck verantworten. Die Anklage lautet auf Mord aus Heimtücke.

Es ist ein Prozess, der großes öffentliches Interesse mit sich bringt. Dafür hat nicht zuletzt die Familie der Toten selbst gesorgt. Die Angehörigen haben schon im Vorfeld der voraussichtlich siebentägigen Verhandlung gefordert, die Rechtsgrundlagen für die Unterbringung von psychisch Kranken zu untersuchen, behördliche Kontrollmechanismen unter die Lupe zu nehmen und die Situation der Mitarbeitern in Wohngruppen - die Situation von Menschen wie Vasthi - zu prüfen.

"Wir wünschen uns, dass Menschen, die in vergleichbaren Einrichtungen arbeiten, besser geschützt werden", wird Vasthis große Schwester Alexandra Brockmann, 40, später vor laufenden Kameras im Blitzlichtgewitter sagen.

Doch zunächst sitzen sie Seite an Seite im großen Saal des Landgerichts, gute zehn Meter vis-à-vis der Anklagebank: Alexandra Brockmann, ihre kleinere Schwester, ihr großer Bruder, die Eltern. Und die Mainzer Strafrechtler Niko Brill und Christoph Weiß. Die Familie tritt geschlossen als Nebenkläger auf. Sie wirken gefasst.

Bis zu dem Augenblick, in dem Staatsanwältin Ulla Hingst die Anklage verliest. Martin H. habe seinem schlafenden Opfer zunächst mehrfach mit einer Brechstange, einem sogenannten Kuhfuß, auf den Kopf geschlagen, dann mit einem Messer auf sie eingestochen, sie schließlich gewürgt. Alexandra Brockmann verbirgt ihr Gesicht unter ihrem Schal, Berenike Gerlach, 29, die andere Schwester, schluchzt und drückt ein pinkfarbenes Plüschschwein an sich. Es hat Vasthi gehört. "Ich wollte irgendetwas von ihr ganz nah bei mir haben", sagt sie später.

Martin H. auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes zeigt keinerlei Emotionen. Der von Medikamenten aufgedunsene 125-Kilo-Mann - kreideweißes Gesicht, dunkelbrauner Pony, Schnäuzer, schwarze Augenringe - spricht auch nicht. Er schüttelt nur stumm den Kopf, als er gefragt wird, ob er etwas sagen möchte. Stundenlang verharrt er regungslos auf seinem Platz, die Stirn auf seine Fäuste gestützt. Schwer zu sagen, ob seine Augen geöffnet oder geschlossen sind, ob er womöglich schläft.

Was das Gericht über H. erfährt, hat der Lübecker Kriminalbeamte Michael Passon am 20. April während einer sechsstündigen Vernehmung in Erfahrung gebracht. Passon berichtet mehr als dreieinhalb Stunden lang von diesem Gespräch, in dem der Abend des 17. März und der frühe Morgen des 18. März eine zentrale Bedeutung hatten.

Es ist Martin H.s ganz persönliche Sicht des 17. und 18. März. Demzufolge hat er an jenem Abend schon dreimal sein Zimmer verlassen - immer in der Hoffnung, Vasthi G. unter vier Augensprechen zu können. Um 21 Uhr gelingt es ihm in der Küche: Er habe das Gefühl, dass er sich schon seit einigen Wochen in sie verliebt habe und mit ihr eine intime Beziehung aufbauen wolle. Sie lächelt, nein, sie grinst, und sagt: "Tut mir leid, aber mit so einem wie dir will ich nichts anfangen." "Okay" sagt er nur, läuft weinend die Treppe hinauf, wütend auf sich, dass er "nicht einfach das Maul gehalten" hat, wütend über das, was er dem Polizisten Passon gegenüber "gefühlten Rassismus" nennt.

Er guckt Kriegsfilme, zunächst "Eine Frage der Ehre", dann "Lord of War". "Und als der Bruder von Nicolas Cage erschossen wurde, wuchs in mir der Entschluss, ihr eine reinzuhauen. Ich wollte ihr das Scheiß-Grinsen aus dem Gesicht wischen. Ich weiß nicht, warum ich den Scheiß-Kuhfuß mitgenommen hatte." Auf Socken schleicht er die Treppe hinunter, es ist mittlerweile zwei Uhr am nächsten Morgen, zwängt sich durch eine Durchreiche in die Küche, nimmt zwei Messer an sich, öffnet mit einem Reserveschlüssel die Tür zum verschlossenen Ruhebereich der Pfleger. Dann schlägt und sticht er zu.

Martin H. bewegt sich nicht, während Polizist Passon seine Geschichte erzählt. Vielleicht schläft er wirklich, während seine Sicht der Dinge geschildert wird.

Sie muss auch nicht objektiv richtig sein. So äußert der Kriminalbeamte Passon Zweifel daran, dass Vasthi G. den Annäherungsversuch tatsächlich in der von H. geschilderten Art und Weise zurückgewiesen hat. "Möglicherweise hat er dem Opfer so vorsichtig seine Verliebtheit gestanden, dass sie es gar nicht gemerkt hat", mutmaßt Passon. Dafür spreche, dass Vasthi in einem unmittelbar folgenden anderthalbstündigen Telefonat mit ihrer Schwester Berenike, einer ihrer Vertrauenspersonen, nichts von einem Annäherungsversuch unmittelbar zuvor erzählt habe. Sollte Martin H. das Lächeln einer ahnungslosen Vasthi, jenes erfrischende Lächeln, das ihn so verzaubert hat, als spöttisches Grinsen missverstanden haben?

Den Nebenkläger-Vertreter Niko Brill interessieren nun andere Details: Weshalb konnte Martin H. einen Schlüssel für das Dienstzimmer haben, der im Haus Rümeland seit Januar vermisst wurde? Wieso tauschte niemand die Schlösser aus? Und warum war es möglich, dass ein verurteilter Gewalttäter einen Kuhfuß in seinem Zimmer haben konnte? "Wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft in solchen Fragen Ansätze für weitere Ermittlungen sehen wird", sagt er.

Der Prozess wird am Dienstag kommender Woche fortgesetzt.