Die Opposition in Niedersachsen macht Innenminister Schünemann (CDU) für Freitod des Abschiebehäftlings Slawik C. verantwortlich.

Hannover. Der Freitod eines 58-jährigen Abschiebehäftlings aus Jesteburg in der Nordheide Anfang Juli bringt nicht nur den Landkreis Harburg in Erklärungsnöte. Gestern hat der innenpolitische Sprecher der oppositionellen SPD im niedersächsischen Landtag, Klaus-Peter Bachmann, Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mitverantwortlich gemacht für den Freitod: "Es geht vor allem darum, Ausländer auf Gedeih und Verderb abzuschieben, zur Not werden sogar Passpapiere gefälscht oder von zweifelhaften fliegenden Händlern zu hohen Preisen eingekauft. Für diese Praxis trägt der Innenminister die Verantwortung."

Slawik C ., der sich im Gefängnis Hannover-Langenhagen mit dem Kabel eines Wasserkochers erhängte, sollte nach Armenien abgeschoben werden, obwohl das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden Zweifel angemeldet hatte, ob der Mann überhaupt aus Armenien stammt (das Abendblatt berichtete mehrfach). Der Harburger Landrat und Chef der Ausländerbehörde, Joachim Bordt, bestreitet die BKA-Hinweise nicht, zum Zeitpunkt der Festnahme des Mannes im Kreishaus seien aber bereits Ersatzpapiere aus Armenien avisiert gewesen.

Der SPD-Abgeordnete Bachmann hält die drohende Abschiebung in ein Land, aus dem er gar nicht kam, für ein mögliches Motiv des Freitodes: "Das mag dazu beigetragen haben, dass der 58-Jährige diese ultimative Verzweiflungstat unternahm." Für ihn ist der Freitod des Mannes, der einen Sohn und einen Enkelsohn in Deutschland hatte, "der traurige Höhepunkt einer menschenverachtenden Praxis" bei der Abschiebung.

Slawik C. war zusammen mit seiner Frau 1999 in die Bundesrepublik gekommen, 2003 wurde der Asylantrag endgültig abgelehnt. Das Ehepaar hatte angegeben, aus Aserbaidschan zu kommen, dort habe man einer verfolgten armenischen Minderheit angehört. Die Ausländerbehörde dagegen glaubt, das Paar habe sein wahres Herkunftsland Armenien nur verschleiert. Auch eine Anfrage in Aserbaidschan, so der Landkreis, ergab, dass der Mann nicht in diesem Land existiere. Dieses Argument lässt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen nicht gelten. Es gebe in Staaten wie Aserbaidschan Grenzgebiete mit vielen nicht ordnungsgemäß registrierten Menschen.

Der Fall rückt wieder einmal die niedersächsische Gesamtpraxis der Abschiebungen in den Mittelpunkt der Debatte. Für Weber ist die Festnahme von Slawik C. auf der Basis offenkundig fehlerhafter Papiere "niedersachsentypisch". Innenminister Schünemann habe gleich nach Amtsantritt 2003 einen Erlass ersatzlos gestrichen, der bis dahin eine frühzeitige Information der Betroffenen über ihre geplante Abschiebung regelte: "Mit den Festnahmen wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Füßen getreten." Zudem stelle sich in etwa einem Drittel der Fälle heraus, dass die Festnahmen rechtswidrig seien. Dies habe das Bundesverfassungsgericht immer wieder gerügt.

Im Fall von Slawik C. vermutet der Flüchtlingsrat, dass der Landkreis bewusst den warnenden Hinweis des Bundeskriminalamts unterschlagen hat, um aus Armenien die notwendigen Papiere für die Abschiebung zu erhalten: "In unseren Augen hat der Landkreis Rechtsmissbrauch betrieben." Genau diesen Verdacht haben auch SPD und Linke. Sie wollen den Vorfall jetzt zum Thema von Anfragen im Landtag und einer Unterrichtung des Innenausschusses durch den Minister machen. Pia Zimmermann von der Linksfraktion: "Die Behörden haben den Suizid von Slawik C. billigend in Kauf genommen."

Der SPD-Abgeordnete Bachmann forderte in diesem Zusammenhang die Landesregierung gestern auf, endlich Schluss zu machen mit dem Kauf von Passersatzpapieren. Er verwies darauf, dass Armenien vierstellige Eurosummen für einen Passersatz fordere.

Der Sprecher des Innenministeriums wies den Vorwurf zurück, das Ministerium versuche die Abschiebung zu forcieren. Die Ausländerbehörden seien gesetzlich verpflichtet, ausreisepflichtige Personen auch gegen ihren Willen außer Landes zu bringen: "Es gibt nun mal Staaten, die für die Passersatzpapiere Verwaltungsgebühren verlangen." Der Sprecher erläuterte weiter, wenn die Behörden ihre Pflicht zur Abschiebung nicht wahrnähmen, habe dies zur Folge, dass die Ausreisepflichtigen dauerhaft geduldet werden müssten: "Dies würde zu erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen für die Kommunen und das Land Niedersachsen führen." Auch das Innenministerium habe im Übrigen einen Bericht des Harburger Ausländeramts angefordert, um den Vorgang zu überprüfen.