Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass der Familienvater ohne Grundlage in Abschiebehaft gekommen war. Dort hatte er sich erhängt.

Winsen. Nach dem Freitod eines 58 Jahre alten Abschiebehäftlings sind jetzt neue Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gelangt, die den Landkreis Harburg in arge Erklärungsnot bringen. Möglicherweise hat die Ausländerbehörde des Kreises den Familienvater Slawik C. aus Jesteburg nur auf Grundlage von lediglich "avisierten" Personal-Dokumenten aus Armenien in Abschiebehaft genommen. Dort hatte sich der Mann, der seit elf Jahren bestens integriert in der Nordheide lebte, am 2. Juli das Leben genommen. Zuvor hatte das Amt Papiere aus Armenien bekommen, die nach Prüfung durch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden erkennbar falsch waren und nicht die Identität des Jesteburgers zeigten. Ob die neuen Papiere vor der Verhaftung vorlagen, ist unklar. Dazu der Landrat und Chef der Ausländerbehörde Joachim Bordt (FDP): "Ich weiß es nicht." Er wolle nun die gesamte Akte untersuchen lassen, so Bordt zum Abendblatt.

Wie berichtet, warf die Ausländerbehörde in Winsen Slawik C. vor, falsche Angaben zu seiner Identität gemacht zu haben, um sein wahres Herkunftsland zu verschleiern. Die Familie hatte bei ihrer Einreise 1999 angegeben, in Aserbaidschan Mitglied der verfolgten armenischen Minderheit zu sein. Als Verfolgte hätten sie keine Pässe bekommen und suchten in Deutschland Asyl, weil ein Sohn in der aserbaidschanischen Armee unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen sei.

2003 wurde C.s Asylantrag abgelehnt, seitdem waren er und seine Frau Asmik nur geduldet. Die Ausländerbehörde im Landkreis Harburg wollte den Mann daher abschieben und fragte bei der aserbaidschanischen Botschaft nach seiner Identität.

Die Aserbaidschaner gaben jedoch an, dass der Mann in ihrem Land nicht existiere. Daraufhin leitete Winsen ein sogenanntes Personenfeststellungsverfahren ein. Dem Abendblatt liegen Teile der Korrespondenz zwischen der Ausländerbehörde in Winsen, dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden und der armenischen Botschaft in Berlin sowie der armenischen Polizei in Eriwan vor. Daraus geht hervor, dass die Polizei der armenischen Hauptstadt Eriwan die wahre Identität von Slawik C. angeblich geklärt hatte. Sie schickte dem Bundeskriminalamt Papiere mit dem Foto eines Slavik Khurshudyan. Die Beamten in Wiesbaden stellten fest, dass weder Papiere noch Foto zu Slawik C. passten. Am 28. Juni wurde er dennoch im Winsener Kreishaus im Beisein seiner Familie verhaftet.

Die Familie sagte aus, man habe dem Vater einen falschen Pass mit falschem Foto vorgelegt und ihn gefragt, ob er das sei. Slawik C. habe die Frage verneint, dann sei er abgeführt worden. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wirft der Ausländerbehörde in Winsen jetzt vor, sich trotz negativen Bescheids aus Wiesbaden für Slawik C. Passersatzpapiere bei der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde in Lüneburg beschafft zu haben, um ihn abschieben zu können.

Die drohende Abschiebung vor Augen, hatte sich der Familienvater in seiner Zelle mit dem Kabel eines Wasserkochers erhängt. Fünf Tage später sollte er weiter nach Frankfurt gebracht werden. Dort hätte man ihn in ein Flugzeug nach Moskau gesetzt. Den Anschlussflug nach Eriwan, der Hauptstadt Armeniens, hatten die Beamten ebenfalls gebucht. Sein Tod warf viele Fragen auf, war es Verzweifelung? Er wolle doch leben, er habe doch eine Enkeltochter, hatte er der Gefängnisdirektorin noch gesagt.

Sein Tod wurde in Jesteburg mit großer Bestürzung aufgenommen. Die dreiköpfige Familie hatte sich in fast elf Jahren dort gut eingelebt und galt bei Nachbarn als beliebt und hilfsbereit. Sie wohnt in einer Doppelhaushälfte. Im Garten weht eine Deutschlandfahne. Von einem Land, das er geliebt habe, wie seine Frau sagt. Vor zwei Jahren war Slawik C. hier Großvater geworden.

Für den Flüchtlingsrat ist dieser tragische Fall ein Beweis dafür, wie "unmenschlich" die Abschiebepraxis in Niedersachsen sei. Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen, erhebt schwere Vorwürfe: "Die Aufforderung, ein Passersatzpapier zu beantragen, erfolgte vom Landkreis in Kenntnis, dass der Beleg für eine armenische Staatsangehörigkeit wertlos ist."

Landrat Joachim Bordt wehrt sich: "Es war bekannt, dass das erste Personenfeststellungsverfahren negativ war, aber zum Zeitpunkt der Festnahme im Kreishaus waren uns von der armenischen Botschaft andere Passersatzpapiere avisiert worden." Und das seien die Papiere gewesen, auf deren Grundlage die Behörde C. abschieben wollte. Ob diese Papiere schon am 28. Juni bei der Verhaftung des Mannes vorlagen, kann er aber nicht beantworten.

Übermorgen, genau einen Monat, nachdem ihr Ehemann so völlig überraschend in der Winsener Ausländerbehörde verhaftet worden war und unmittelbar in Abschiebehaft nach Langenhagen gebracht wurde, hat nun auch Asmik C. einen Termin bei der Behörde. Mehrere Jesteburger und Kommunalpolitiker haben bereits angekündigt, sie zu begleiten.