Schrottteile im Weltraum werden mehr: 150 Millionen Teile sollen es sein. Braunschweiger Forscher simulierten jetzt deren Flugbahnen

Braunschweig. Etwa 150 Millionen Trümmerteile, mindestens einen Millimeter groß, rasen als Weltraumschrott um die Erde. Und es werden immer mehr. Für Satelliten und bemannte Raumfahrzeuge wird die Gefahr von Kollisionen größer. "Noch ist das Risiko nicht dramatisch", meint Prof. Peter Vörsmann vom Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme an der Technischen Universität (TU) Braunschweig. Aber wenn man in der Raumfahrt so weitermache wie bisher, dann werde es künftig sicher mehr Kollisionen geben.

Braunschweiger Forscher sind neben der US-Raumfahrtbehörde Nasa weltweit führend, was den Müll im All betrifft. Sie arbeiten eng mit den Amerikanern zusammen. Im Auftrag der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa haben sie jetzt ein Simulationsmodell erarbeitet, das die Verteilung und Bewegung des Weltraummülls heute und in Zukunft darstellt. Es wird von Organisationen und Unternehmen der Raumfahrt weltweit für Raumfahrtmissionen genutzt. Beispielsweise müssen schon heute viele der rund 900 aktiven Satelliten im All und auch die bemannte Internationale Raumstation ISS regelmäßig Ausweichmanöver wegen nahender Trümmerteile fliegen.

"Heute liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Satellit bei sieben Jahren Lebensdauer von einem gefährlichen Objekt getroffen und zerstört wird, bei zwei Prozent", hat Instituts-Mitarbeiter Dr. Carsten Wiedemann ausgerechnet. Doch das Risiko wachse. Jede Kollision im All produziert wie bei einer Kettenreaktion neue Trümmer und wahrscheinlich neue Kollisionen. Bisher sind vermutlich vier Satelliten getroffen und zerstört worden.

Vor drei Jahren haben die Chinesen als Militärtest einen eigenen Satelliten auf seiner Erdumlaufbahn in 800 Kilometer Höhe mit einer Rakete abgeschossen. Danach sei, so Wiedemann, die Trümmerzahl um 50 Prozent gestiegen - und das auf einer Bahn, auf der ohnehin schon der meiste Müll herumfliege und auf der die meisten Erdbeobachtungssatelliten stationiert seien. Vörsmann: "Es war das trümmerreichste Ereignis der Raumfahrtgeschichte."

Doch der meiste Müll entstand bisher durch unbeabsichtigte Explosionen von ausgebrannten Raketen-Oberstufen, in denen sich Resttreibstoffe entzündeten, oder durch chemische Reaktionen in nicht entladenen Batterien. Es schwirren aber auch Millionen von teilweise zentimetergroßen Schlackepartikeln herum, die bei Bahnmanövern als Verbrennungsrückstände aus Feststofftriebwerken entweichen, oder Millionen von Metalltropfen, die von Kühlmitteln aus Kernreaktoren stammen, die die Russen in den 80er-Jahren in Satelliten benutzt haben.

Gefährlich für die Raumfahrt seien, so Wiedemann, vor allem die rund 600 000 Müllobjekte, die größer als einen Zentimeter sind. Die könnten bei einem Tempo von zehn Kilometern je Sekunde jede noch so dicke Schutzwand zerschlagen. Wiedemann: "Die wirken wie eine Handgranate." Kleinere Teilchen können Satelliten immerhin mehr oder weniger stark beschädigen. Schon heute seien praktisch alle Satelliten im All von Einschlägen übersäht.

Per irdischem Radar können nur diejenigen Objekte und ihre Umlaufbahnen direkt erfasst werden, die größer als zehn Zentimeter sind. Alles andere wird durch die aufwendige Computersimulation von zurückliegenden Ereignissen der Raumfahrt ermittelt und teilweise durch Messdaten von Raumfahrtmissionen verifiziert. Wiedemann: "Wir haben so eine sehr realistische Darstellung der Verteilung des Weltraummülls."

Durch Hochrechnungen können die Braunschweiger Forscher auch in die Zukunft sehen: Es sei sehr wahrscheinlich, so Wiedemann, dass es in den nächsten 50 Jahren - wenn im All nicht aufgeräumt wird - auf den populären Umlaufbahnen in 800 bis 900 Kilometern die meisten Zusammenstöße geben werde, und zwar vor allem von westlichen und russischen Satelliten oder Raketen-Oberstufen.

Es müsse deshalb im All etwas geschehen, meinen die beiden Braunschweiger Forscher. Die beste Strategie: Müll vermeiden, beispielsweise Explosionen verhindern. Oder Feststoffraketen durch Flüssigtreibstoffe ersetzen. Raumfahrtexperten diskutieren auch darüber, größere Objekte mit hohem Kollisionsrisiko mit Robotergreifern einzufangen, sie abzubremsen und so auf niedrigere Umlaufbahnen zu schleusen, damit sie später bei Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen.

Video: 20 000 Tage im All

Die Bedeutung der Farben:

Rot = Satelliten (aktive und inaktive)

Gelb= Raketenoberstufen

Grün = Abfälle vom Weltraummissionen wie verlorene Werkzeuge, Schrauben, Verschlusskappen für Kameralinsen

Blau = Schlackepartickel (z.B. Magnesium) von Feststoffantrieben

Weiß = Explosionswolken von Trümmerstücken