Was ist das Pessach-Fest? Wozu baut man eine Laubhütte? Wie schmeckt koscheres Essen? Diese und viele andere Fragen zum jüdischen Leben können die Schülerinnen und Schüler der 8b der integrierten Gesamtschule Fischbek heute erschöpfend beantworten. Erfahren haben sie das vor allem durch ihre Kontakte und Gespräche mit jüdischen Jugendlichen.

Angefangen hatte alles mit dem Buch »Mein Freund David«. Die Schülerinnen und Schüler, damals noch in der 6. Klasse, lasen im Unterricht die Geschichte eines jüdischen Jungen im heutigen Berlin. Auf Anregung ihrer Klassenlehrerin Dorothea Antoni-Mensch und der Sozialpädagogin Dörte Schnell-Abis widmeten sie sich intensiver dem Thema »Jüdische Jugendliche in Deutschland«. Und sie machten es zur Grundlage einer Zusammenarbeit mit einem ostdeutschen Gymnasium.

Im Rahmen des Projektes »Gemeinsam handeln - voneinander lernen - zusammenwachsen« arbeiteten die Fischbeker Schülerinnen und Schüler von September 2000 bis Juni 2001 mit der sechsten Klasse des Gymnasiums Dresden-Cotta gemeinsam am Thema. Ein Projekt mit doppeltem Effekt: Die Jugendlichen lernten nicht nur das Denken und Fühlen junger Juden in Deutschland kennen, sondern erfuhren auch, was die etwa gleichaltrigen Ostdeutschen bewegt. Als Erstes stand eine Klassenreise nach Berlin für beide Klassen auf dem Programm. Die Schülerinnen und Schüler besuchten dort ein jüdisches Jugendzentrum und eine jüdische Schule. »Zu den üblichen Fächern kommen Hebräisch und Bibelstunden für alle hinzu«, erklärt Chris-Berit Schultz den Unterschied zu dem vertrauten eigenen Unterricht.

Überrascht war die Hamburger Gesamtschulklasse beim Besuch in der Synagoge: »Sie ist nicht nur ein Gebetshaus, sondern auch ein Ort zum Plaudern«, schildert Julia Weber ihre Eindrücke. Erschrocken waren sie und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler über die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen vor der Synagoge. Bei einem Gespräch mit einem jüdischen Lehrer, der sich während der Nazi-Zeit mit einigen Jugendlichen versteckt hielt, erfuhr die Klasse, was es bedeutet, mit der Angst vor Entdeckung zu leben. »Die Jugendlichen haben uns mit ihrem Mut sehr beeindruckt«, sagt Elena Kisselmann.

Nach der Rückkehr aus Berlin dokumentierte die Klasse ihre Erlebnisse und suchte nach jüdischen Spuren in Marburg. Dazu besuchten die Schülerinnen und Schüler im November 2000 den dortigen jüdischen Friedhof. »Wir waren bestürzt, als wir dort umgeworfene Grabsteine entdeckten, und haben das dem Gartenbauamt gemeldet«, berichtet Rene Schumann. Außerdem wurden Flugblätter »Gegen das Vergessen« verteilt, die an die Gräueltaten der so genannten Reichskristallnacht erinnerten.

Neben vielen weiteren Aktionen, wie etwa dem Kochen von koscherem Essen, entwickelten die Jugendlichen mit Unterstützung einer Wiener Studentin der Judaistik eine Ausstellung über jüdisches Leben. Dafür traten sie telefonisch und schriftlich immer wieder mit der Patenklasse in Dresden in Kontakt. Die gemeinsam erarbeitete Ausstellung eröffneten die Hamburger im Mai 2001 zum Besuch der Dresdner in der Gesamtschule Fischbek. Mit einem Gegenbesuch und der Präsentation der Ausstellung in Dresden war das Projekt im Juni 2001 eigentlich abgeschlossen. Die Ziele waren erreicht: "Wir haben von jüdischen Jugendlichen erfahren, wie sie leben und dass sie Jugendliche wie wir sind", meint Jan Bielak. Und Rene Schumann fällt es seit dem Projekt auf, "wie viele Graffiti mit ausländerfeindlichen Sprüchen es gibt". Auch die anfängliche Zurückhaltung untereinander überwanden die beiden Partnerklassen im Laufe des Projektes. "Beim Besuch der Dresdner in Hamburg sind wir mehr zusammengewachsen", findet Kay Welschinger.

Womit die Schülerinnen und Schüler nicht gerechnet hatten, war die große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Presse berichtete über das Projekt. Die Fischbeker Gesamtschulklasse wurde mehrmals eingeladen, ihre Ausstellung zu präsentieren, etwa im Harburger Rathaus oder im jüdischen Jugendclub in Hamburg. Für ihr Engagement erhielten die 13- bis 15-Jährigen schließlich nicht nur den BERTINI-PREIS 2001, sondern auch einen Preis der Robert-Bosch-Stiftung, der in Berlin von Bundespräsident Johannes Rau überreicht wurde.