Es waren mehrere Ereignisse, die Nele Weber (17) und Sarah Sorge (18) zum Handeln veranlassten: In den Medien sahen sie im Oktober 2000 immer wieder Berichte über Neonazi-Aufmärsche und waren schockiert. „wenn wir Politiker wären, könnten wir etwas dagegen tun“, dachten die beiden Schülerinnen zunächst. Auch aus ihrem eigenen Umfeld kannten sie Berichte über Ausgrenzung und Missachtung von Menschen anderer Hautfarbe. Als dann noch einige Stimmzettel für die Schulsprecherwahl mit Hakenkreuzen beschmiert worden waren, wurden sie aktiv.

"Man fängt am besten in der unmittelbaren Umgebung an, für uns war das die Schule", sagt Nele Weber. Unter dem Motto: "Was heißt hier fremd?" beschlossen die beiden Schülerinnen, einen Projekttag ihres Gymnasiums zu gestalten. Für einen Tag sollten sich alle Klassen mit dem Thema Toleranz beschäftigen.

Zielstrebig setzten Nele und Sarah ihren Plan in die Tat um. Sie überzeugten Schulleiterin Christel Jäger und das Kollegium des Gymnasiums Corveystraße von ihrem Vorhaben, schrieben rund 80 Briefe an mögliche Sponsoren, von Kellogg's bis Tchibo. "Wir bekamen viele Absagen, manche Firmen antworteten auch gar nicht", erzählt Sarah Sorge. Es kamen dann aber doch etwa tausend Mark an Spenden zusammen, mit denen die Materialkosten für die Veranstaltung bezahlt werden konnten.

Als Kern des Projekttages sahen Nele und Sarah Workshops vor, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Toleranz auseinander setzten und sich vor allem an die 8. Klassen richteten, bei denen die Schmierereien auf den Wahlzetteln aufgetaucht waren. Die Leitung wollten die beiden Schülerinnen aber nicht ihren Lehrerinnen oder Lehrern überlassen, sondern Personen, die "direkt von der Problematik betroffen oder mit dem Thema besonders vertraut waren".

Es folgten weitere Briefe an Vereine, Theater, Museen, Organisationen. Neun Monate bereiteten die Freundinnen den Projekttag vor, jeden Sonntagnachmittag trafen sie sich, um sich zu besprechen und um zu organisieren. Schließlich konnten die Schülerinnen ein umfangreiches Programm zusammenstellen. Am 10. Juli 2001 startete der lang vorbereitete Tag. Zu den zehn Workshops gehörte etwa eine Malaktion, die von einem ehedem selbst betroffenen Mitglied der Gesellschaft zur Unterstützung von Verfolgten und Gefolterten geleitet wurde. Der ehemalige Flüchtling verarbeitete sein eigenes Schicksal in Bildern. Ortwin Löwa vom NDR bot einen Workshop zum Thema "Gewalt in den Medien" an. Mit einem Mitglied der Jugendorganisation Step 21 konnten die Schülerinnen und Schüler am Computer einen eigenen Comic entwerfen, Ensemble-Mitglieder des Thalia Theaters und des Theaters für Kinder erarbeiteten mit den Jugendlichen Theaterszenen, eine Jugendarbeiterin behandelte das Thema "Mobbing", und mit HipHop-Sänger Sammy Deluxe verfassten Schülerinnen und Schüler Texte gegen Ausgrenzung. Neben den Arbeitsgemeinschaften beschäftigten sich auch alle übrigen Klassen an diesem Tag mit Themen wie dem Asylrecht, dem Nationalsozialismus oder interviewten ausländische Mitbürger zu ihren Erfahrungen in Deutschland. Weitere Aktionen fanden auf dem Schulhof statt. In einem dunkel abgehängten Gang, dem "Zeitstrahl", informierten Zeitungsartikel, Liedtexte oder Bilder über Vergangenheit und Gegenwart, das Wort "Frieden" wurde in allen Sprachen an eine Wand gesprüht, an einem Tisch konnten die Schülerinnen und Schüler "miteinander Kirschen essen« und vieles mehr. Zum Ende des Schultages kamen alle Klassen in der Sporthalle zusammen, wo die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsgemeinschaften vorgestellt wurden.

"Zum Schluss herrschte fast Party-Stimmung", erzählt Sarah, und die Schulleiterin bestätigt, dass die Aktion in den Klassen sehr gut angekommen sei. "Mich haben viele Schüler hinterher gefragt, wann wir so etwas wieder machen«, sagt Christel Jäger. Für Sarah und Nele ist das ein großer Erfolg. Mit ihrem Engagement wollten sie andere Schülerinnen und Schüler ermuntern, sich ebenfalls einzusetzen. "Es ist eine gute Erfahrung, über den eigenen Tellerrand zu sehen, dann wird einem bewusst, dass es neben der Schule auch andere wichtige Themen gibt", meint Sarah.