Die hamburger Malerin Anita Reé erhielt 1931 vom Kirchenvorstand der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Lukas zu Hamburg-Fuhlsbüttel den Auftrag, ein mehrteiliges Altarbild herzustellen. Die Künstlerin fertigte das Triptychon an, doch ihr Werk wurde weder in der Kirche aufgestellt noch jemals bezahlt. Der Grund: Nachdem die Nationalsozialisten die jüdische Abstammung der Malerin stigmatisiert hatten, konnte sich der damalige Kirchenrat nicht entscheiden, die Bilder der Gemeinde zu präsentieren. Anita Reé nahm sich 1933 das Leben.

Auf diese und andere schockierende Ereignisse stießen sechs Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 12 des Gymnasiums Alstertal, als sie der Frage nachgingen: "Was geschah in Fuhlsbüttel während der Nazi-Zeit?" Angeregt zu dieser Recherche wurden Friederike Delius, Annika Frisch, Ninajoelle Marx, Wiebke Wiesendahl, Hannes Schacht und Florian Scheer durch die Kirchengemeinde St. Lukas. Der Kirchenvorstand hatte nach langen Diskussionen beschlossen, in der St.-Lukas-Kirche eine Gedenkwand für die zivilen Opfer des Nationalsozialismus anzubringen - als Ergänzung der bereits vorhandenen Gedenktafel für die gefallenen Soldaten.

Der Vorstand der Kirchengemeinde wandte sich an das benachbarte Gymnasium Alstertal. Gemeinsam mit Schulleiter Andreas Jäger und Kunstlehrer Gerhard Brocknnann bildeten die sechs Schülerinnen und Schüler eine Projektgruppe, um eine Gedenkwand zu entwerfen und zu gestalten. Dazu wurde die Stadtteilgeschichte erforscht. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich zunächst mit der eigenen Schule im Nationalsozialismus und fanden heraus, dass im Schularchiv Quellen aus der Zeit von 1933 bis 1945 fehlten -aus dem Mitteilungsbuch der Schule waren die ersten hundert Seiten herausgetrennt worden. Eine Erklärung dafür wurde nicht gefunden. Die sechs Alstertaler Jugendlichen forschten weiter im Stadtteil und setzten sich mit den Geschehnissen im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, dem so genannten "KoLaFu", auseinander. Dort waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Widerstandskämpfer, später auch Juden inhaftiert, viele wurden gefoltert, getötet oder in die Vernichtungslager gebracht. Zu einem weiteren Kapitel ihrer Recherche gehörten die zahlreichen Zwangsarbeiter in Fuhlsbüttel. "Hier lebten und arbeiteten Holländer, Polen, Dänen, Franzosen, später auch Russen unter unwürdigen Umständen", erklärt Florian Scheer (20). Am Höhenstieg gab es ein Lager für französische Kriegsgefangene. "Obwohl das Straßenschild noch existiert, gibt es dort keinen Hinweis auf das frühere Lager", berichtet Annika Frisch. Sie machte bei dem Projekt mit, weil ihr im Unterricht der Bezug zur Stadtteilgeschichte gefehlt hatte.

Gemeinsam mit ihrem Kunstlehrer überlegten die Schülerinnen und Schüler, wie sie die zusammengetragenen Ereignisse in eine Form des Gedenkens übersetzen könnten. Sie erarbeiteten verschiedene Entwürfe, die sie der Kirchengemeinde vorstellten. Zustimmung fand schließlich die Idee für eine Wand aus 25 einzeln gefertigten Tonkacheln. Jede enthält ein Motiv zur Gewalt und Verfolgung im Stadtteil. "Die Gedenkwand besteht aus symbolischen Motiven wie dem Judenstern oder konkreten Themen wie dem Porträt der Malerin Anita Ree oder dem Höhenstieg", erläutert Florian Scheer. Mit einem Aufruf im Gemeindebrief suchte die Projektgruppe, in der bald auch einige Eltern und Gemeindemitglieder mitarbeiteten, Augenzeugenberichte von älteren Fuhlsbüttlern. "Die Resonanz blieb allerdings eher zurückhaltend", berichtet Florian Scheer. Die Schülerinnen und Schüler spürten, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit für manche schmerzvoll war. Doch konnten einige der persönlichen Erlebnisse als Motiv umgesetzt werden, wie der Elendszug der Kriegsgefangenen. "Wir wissen, dass wir das Thema in keiner Weise umfassend behandeln können, und haben deshalb die letzte Kachel symbolisch leer gelassen", sagt Schulleiter Andreas Jäger.

Am 27. Januar 2002 wurde die Kachelwand in der Gedächtniskapelle im Rahmen eines Gottesdienstes eingeweiht. Die Schülerinnen und Schüler möchten noch eine Stadtteilkarte aufstellen, auf der die Orte der Ereignisse markiert sind. Ihr wichtigstes Ziel hat die Projektgruppe jedoch bereits erreicht, wie es Florian Scheer formuliert: "Zeigen und daran erinnern, dass es auch im eigenen Stadtteil Kriegsverbrechen gegeben hat."