Sie verspüre „ein Kribbeln im Bauch“, sagt die CDU-Abgeordnete Herlind Gundelach. Sie ist ebenso wie die SPD-Abgeordneten Metin Hakverdi und Matthias Bartke neu ins Berliner Parlament gewählt worden. Das Abendblatt hat die drei Hamburger Politiker bei ihrer Bundestags-Premiere begleitet.

Es mag Unerfahrenheit sein oder hanseatische Zurückhaltung. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Die Hamburger Abgeordneten Herlind Gundelach (CDU), Matthias Bartke und Metin Hakverdi (beide SPD) haben bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags auf den hinteren Reihen Platz genommen. Die drei sind zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden. Die zehn übrigen Hamburger kennen bereits das Leben im Berliner Reichstagsgebäude. Aber als Hinterbänkler sehen sich Gundelach, Bartke und Hakverdi nun wirklich nicht. Schließlich gilt im Bundestag – anders als in der Hamburgischen Bürgerschaft, wo die Sitzplatzreihe von großer Bedeutung ist – die freie Platzwahl. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

„Die alten Hasen hier, die haben vor Beginn der Bundestagssitzung ihre Mappen auf die Plätze gelegt. Das ist ein bisschen wie auf Mallorca“, frotzelt Hakverdi. Einige erfahrene Abgeordnete seien geradezu in den Plenarsaal hineingeprescht.

Da gibt man sich als Neuer doch gern ein wenig gelassener. Außerdem werde es noch genug Sitzungen geben, in denen er sich in die erste Reihe setzen könne.

Wenn man so will, gehört auch Herlind Gundelach zu den erfahrenen Abgeordneten. Die meiste Zeit ihres politischen Lebens hat sie in der Bundespolitik zugebracht, allerdings nicht als Abgeordnete. Ab 1970 hat die Politologin als wissenschaftliche Mitarbeiterin für verschiedene Bundestagsabgeordnete gearbeitet. Später war sie Leiterin des Grundsatzreferats im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ihre Minister damals hießen Klaus Töpfer – und Angela Merkel. Deshalb kennt man sie hier.

Der noch amtierende Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) stoppt auf einem Nordflur des Bundestags und drückt Gundelach die Hand. „Herzlichen Glückwunsch und alles Gute“, gratuliert er der 64-Jährigen zu ihrem ersten Einzug in den Bundestag als Abgeordnete. „Es ist fast, wie nach Hause kommen“, sagt Gundelach. Dennoch verspüre sie ein „erhabenes Gefühl“ und ein „Kribbeln im Bauch“ an ihrem ersten Tag als Bundestagsabgeordnete. Das habe auch einen Grund: Abgeordnete zu sein bedeute ihr „einen Zacken mehr als in der Regierung zu sitzen“. Da argumentiert sie als Politologin. Das tut sie auch, wenn sie über eine nun mögliche Große Koalition spricht.

Sie habe da ein eher „gespaltenes Verhältnis“. „Ich glaube zwar, dass man mit der SPD vernünftige Lösungen etwa bei der Energiewende hinbekommen kann“, sagt die CDU-Abgeordnete. „Aber als Politologin habe ich eher ein mulmiges Gefühl, wenn es zwei zahlenmäßig übergroße Regierungsfraktionen gibt.“ 631 Abgeordnete hat der Bundestag. Kommt es zur Großen Koalition, hätten die Oppositionsfraktionen zusammen nur 127 Sitze. „Das sind einfach zu wenig Leute, um die Regierung zu kontrollieren“, sagt Gundelach. „Das ist einfach eine Frage von Manpower.“ Aber der Wähler habe nun mal so abgestimmt.

Neue Wohnung in Charlottenburg

Gundelach hat die vergangenen Wochen genutzt, um sich Mitarbeiter und eine Unterkunft in Berlin zu suchen. Eine Mitarbeiterin des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus Lippold aus Hessen hat sich bei ihr gemeldet. Die hat sie gleich eingestellt. In Charlottenburg hat Gundelach sich eine Wohnung genommen. „Die kann ich zügig erreichen. Das war mir wichtig.“

Ein wenig schade sei, dass ihre Tochter bei ihrer ersten Bundestagssitzung nicht dabei sein konnte. Ursprünglich sei geplant gewesen, dass sie aus der Schweiz anreiste. Aber die Tochter sagte wegen beruflicher Termine ab. „Sie hat mir aber aufgetragen, ihr rechtzeitig Bescheid zu geben, wenn ich meine Jungfernrede im Bundestag halte. Die will sie auf keinen Fall verpassen.“

Von ihrem zukünftigen Betätigungsfeld hat Gundelach eine klare Vorstellung. „Ich möchte an der Energiewende mitarbeiten. Da kenne ich mich aus.“ Es soll also in den Energie- und Umweltausschuss gehen. Und wer weiß, möglicherweise gibt es am Ende sogar ein eigenes Energieressort.

Wenn Matthias Bartke einen Wunsch frei hätte bei der Wahl des Ausschusses, dann wäre es der Sozialausschuss. Aber auf Sozialpolitik haben es viele Genossen abgesehen. Welcher Abgeordnete am Ende in welchem Ausschuss sitzt, das wird erst nach der Regierungsbildung entschieden. Und das kann dauern. Denn davor stehen komplizierte Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und der CDU/CSU.

„Es gibt niemanden in der SPD, der sagt, er geht mit Begeisterung in eine Koalition mit der Union“, sagt Bartke. Man sei schließlich mit dem erklärten Ziel angetreten, ein Bündnis mit den Grünen zu bilden. „Aber natürlich wollen wir regieren und gestalten.“ Und solange sich die SPD inhaltlich wiederfinde, „kann man es machen“. Ein Vorteil einer Großen Koalition sei aus seiner Sicht, dass es auf Bundesratsebene keine Blockaden mehr gebe, welche ohnehin häufig taktisch geprägt gewesen seien. „Da kann man jetzt viel bewegen.“

Dass er es in den Bundestag geschafft hat, macht den Altonaer Direktkandidaten stolz. „Der 22. September war das Datum, auf das ich hingearbeitet habe.“ Erleichtert dürfte er darüber hinaus auch sein. Schließlich hat Bartke nicht irgendeinen Wahlkreis gewonnen. Sein Vorgänger heißt Olaf Scholz – und der hat sich seit 1998 bis zur Übernahme des Bürgermeisteramtes in dem Wahlkreis immer wieder behaupten können.

Ein „irrer Wahlkampf“ sei das gewesen, sagt Bartke. An 5000 Wohnungstüren habe er geklingelt und für sich geworben. Zudem sei Altona ein starker Wahlkreis. Der CDU-Landeschef Marcus Weinberg trat hier an und der stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, Jan van Aken – beide im Gegensatz zu Bartke erfahrene Bundestagsabgeordnete. Und auch sie haben es wieder in den Bundestag geschafft, allerdings über ihre jeweiligen Landeslisten.

Noch keine Überweisung aufs Konto

Anfang September hat Bartke sich von seinem bisherigen Job für den Wahlkampf beurlauben lassen. Der Jurist war Leiter der Rechtsabteilung in der Sozialbehörde. Davor war er Büroleiter von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Diesen Posten aber gab er ab, als der 54-Jährige Direktkandidat im Wahlkreis Altona wurde. Seit dem 9. Oktober, dem Tag der Verkündung des endgültigen amtlichen Endergebnisses, ruht seine bisherige Tätigkeit und Bartke ist Bundestagsabgeordneter. Er müsste nun Bundestagsdiäten beziehen. Zumindest geht er davon aus. Noch hat es keine Überweisung auf sein Konto gegeben.

Seit dem Wahlabend hat Matthias Bartke viel zu organisieren. Er musste Personal einstellen. Je zwei Mitarbeiter im Wahlkreisbüro in Hamburg und in dem Abgeordnetenbüro in Berlin. Wo sein Berliner Büro am Ende sein wird, weiß der SPD-Mann auch noch nicht so genau. „Wahrscheinlich Unter den Linden, also in der Nähe des Reichstags.“ Bislang konnte er nicht einziehen, weil die alten Abgeordneten noch nicht ausgezogen waren. Aber schön wäre ein Büro an diesem Prachtboulevard schon.

„Dann könnte ich auf dem Weg in den Bundestag jedes Mal durchs Brandenburger Tor.“ Für ihn sei das Tor „ein Zeichen, dass es in der Politik auch noch Wunder gibt“. Die Wiedervereinigung. „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich da durchgehe.“ Ein wenig Pathos am Tag der konstituierenden Sitzung des Bundestags nimmt sich Bartke heraus. Dann aber auch ganz schnell wieder Realismus. „Wer weiß, wie sich das dann in vier Jahren anfühlt.“ Immerhin war die Suche nach der Wohnung unkompliziert. Bartke zieht in das Haus eines Freundes in Pankow. Der ist Anwalt in Berlin, die beiden kennen sich aus Studientagen. „Den musste ich noch trösten, weil er FDP-Mitglied ist“, sagt Bartke und lacht.

Hakverdi ist immer noch stolz

Metin Hakverdi dagegen hat weder Wohnung noch Büro in Berlin. „Das hat noch Zeit. Die erste reguläre Sitzungswoche beginnt ohnehin erst im Dezember.“ Allerdings wäre ein Abgeordnetenbüro schon jetzt ziemlich hilfreich, um die Termine zu koordinieren. Das macht er bislang noch selbst. Und die Hilfe seiner Mitarbeiter in seinem Büro, welches er als Bürgerschaftsabgeordneter nutzt, darf er für den Bundestag nicht in Anspruch nehmen. Damit würde er das Geld der Bürgerschaft veruntreuen.

Seit Montag könnte Hakverdi das ohnehin nicht mehr machen. „Da habe ich mein Bürgerschaftsmandat abgegeben.“ Ein wenig wehmütig sei das gewesen. Während er das erzählt, kommt ihm der alte und neue Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) auf einem Nebengang des Bundestags entgegen. „Herr Präsident, herzlichen Glückwunsch zur Wahl“, sagt er und drückt Lammert die Hand, so als wolle er ihm auch sagen: „Wir sehen uns jetzt öfter.“

Auch Hakverdi ist der Stolz über seinen Wahlerfolg anzumerken. Er hat mit mehr als 40 Prozent der Stimmen das beste Hamburger Ergebnis im Wahlkreis Harburg-Bergedorf eingefahren und damit auch Herlind Gundelach ausgestochen, die über die Landesliste den Einzug geschafft hat. „Die Freude war am 22. September am größten“, sagt Hakverdi. „Jetzt ist es eine Herausforderung. Jetzt beginnt die Arbeit.“ Und die Suche nach einer Wohnung. Die sollte, wenn möglich, nur soweit vom Reichstagsgebäude entfernt sein, dass es bequem mit dem Fahrrad zu erreichen ist.

Solche Gedanken braucht sich Dirk Fischer, Direktkandidat der CDU aus dem Wahlkreis Nord, nicht mehr zu machen. Seine Wohnung im Scheunenviertel hat er bereits im Jahr 1999 bezogen. Schließlich sitzt Fischer seit 1980 ohne Unterbrechung im Bundestag. Seine zehnte Legislatur hat jetzt begonnen. Mittlerweile ist alles Routine geworden. „Viele neue Gesichter gibt es hier“, bemerkt Fischer. Ein paar alte vermisst er. Michael Glos zum Beispiel, den ehemaligen CSU-Wirtschaftsminister, oder Patrick Döring, einst FDP-Generalsekretär.

Fischer kennt sie alle. Und dann geht er am Osteingang des Bundestags auf einen der vielen befrackten Saaldiener zu und schüttelt ihm die Hand. „Hallo Michael“, sagt Fischer. Man kenne sich aus der Fußballmannschaft des Bundestags, erklärt der CDU-Grande. Und bei Michael handele es sich um einen begnadeten Mittelfeldspieler.