Gnadenfrist für liberale Minister: Der neu gewählte Bundestag tritt am Dienstag erstmals zusammen, das Kabinett regiert nur noch geschäftsführend. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Berlin. Die FDP ist weg, drittstärkste Kraft ist die Linke, die Union bildet nach ihrem Wahltriumph mit 311 Sitzen die dominierende Fraktion. Das sind die Eckdaten, wenn heute erstmals die 631 gewählten Abgeordneten im Namen des Volkes zusammenkommen. Bei der konstituierenden Sitzung des 18. Deutschen Bundestags sitzen 401 wiedergewählte Parlamentarier im Plenum, 230 haben ihren ersten Arbeitstag im Reichstag. Was ändert sich im neuen Parlament, was bleibt beim Alten? Eine Übersicht:

Wer regiert jetzt?

Die Amtszeit von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und die ihrer Minister endet heute mit der Konstituierung des neuen Bundestags. Allerdings nur offiziell. Artikel 69 des Grundgesetzes schreibt das zwar so fest, aber die Regierung bleibt so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neuer Kanzler gewählt ist. Und das kann dauern: Eine rechtliche Frist für die Neuwahl des Bundeskanzlers gibt es nicht. Im Grundgesetz steht: „Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ist ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen“. Mit dieser Art von Dienstverpflichtung soll eine regierungslose Zeit verhindert werden. Gleichwohl erhalten die Minister des alten Kabinetts aber heute von Bundespräsident Joachim Gauck die Entlassungsurkunden.

Was, wenn die Kanzlerin oder Minister amtsunfähig werden?

Da die Mitglieder einer geschäftsführenden Bundesregierung weder zurücktreten noch neue Minister berufen werden können, sprechen Juristen vom Grundsatz der „Versteinerung“. Sollten doch Regierungsmitglieder aus Gesundheitsgründen oder anderweitiger Amtsunfähigkeit ausscheiden, müssten ihre Aufgaben von anderen Ministern übernommen werden. Sollte dies die Kanzlerin betreffen, müsste der Bundespräsident für eine geschäftsführende Vertretung sorgen.

Was darf die geschäftsführende Regierung?

Die Befugnisse einer geschäftsführenden Bundesregierung entsprechen denen einer regulären Regierung: Sie kann Gesetzentwürfe beschließen und im Bundestag einbringen, theoretisch sogar einen neuen Bundeshaushalt, oder Verordnungen erlassen. Allerdings gehen Verfassungsrechtler davon aus, dass eine solche Regierung ihr Amt mit größtmöglicher Zurückhaltung ausüben sollte. Ohnehin verfügt die amtierende schwarz-gelbe Regierung ab Dienstag nicht mehr über eine parlamentarische Mehrheit. Nicht mehr möglich sind nach gängiger Rechtsauffassung nach der Konstituierung des Bundestags das Stellen der Vertrauensfrage durch die Kanzlerin oder ein konstruktives Misstrauensvotum durch das Parlament. Die einzige Möglichkeit zu einer vorzeitigen Auflösung des Bundestags besteht damit in dieser Übergangszeit darin, dass bei einer Kanzlerwahl auch im dritten Wahlgang kein Bewerber die absolute Mehrheit erhält und der Bundespräsident keinen Bewerber mit einfacher Mehrheit zum Regierungschef ernennt. Die bisherige Regierung bliebe aber auch dann über die Neuwahlen hinaus weiter geschäftsführend im Amt.

Wer eröffnet die konstituierende Sitzung?

Die konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundestags eröffnet der älteste Parlamentarier. Der sogenannte Alterspräsident übernimmt solange den Vorsitz, bis der neue Bundestagspräsident gewählt ist – so sieht es die Geschäftsordnung des Bundestags vor. Diese Ehre wird wie schon 2009 dem 77-jährigen CDU-Politiker und ehemaligen Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber aus Hessen zuteil, der seit 1976 im Bundestag sitzt. Nur einer hat dieses Amt häufiger bekleidet: Willy Brandt war dreimal als Alterspräsident.

Was geschieht mit den FDP-Sitzen?

Die Partei fliegt zwar aus dem Bundestag – nicht aber ihre parlamentarischen Staatssekretäre. Sie bleiben so lange, wie der jeweils zuständige Minister geschäftsführend sein Amt ausübt, auf ihrem Posten und werden damit auch weiter bezahlt. Unter die Regelung fallen sieben Politiker der FDP, die bei der Wahl ihr Abgeordnetenmandat im Bundestag verloren haben. Sie sollen voraussichtlich zwei Monate länger ihr Gehalt vom Bundestag beziehen. 11.000 Euro erhält ein parlamentarischer Staatssekretär an monatlichen Bezügen. Betroffen sind aber nicht nur FDP-Politiker: Aus der CDU sind ebenfalls zwei parlamentarische Staatssekretäre nicht mehr gewählt worden.

Wer sichert sich die besten Plätze?

Der FDP-Absturz und der Triumph der Union sorgen für Gerangel um die Sitzordnung. Hauptstreitpunkt: Wer darf wie viele seiner Abgeordneten in der ersten Reihe platzieren? Die Plätze sind begehrt, weil sie Fernsehpräsenz sicherstellen. Nach dem sogenannten D’Hondt-Wahlverfahren hätten CDU und CSU neun der insgesamt 16 Plätze in der ersten Reihe zugestanden. Als Kompromiss hatte die Union intern zunächst acht Plätze für sich ins Spiel gebracht. Dagegen regte sich Protest vonseiten der Linken und der Grünen. Nun einigten sich die parlamentarischen Geschäftsführer auf folgende Besetzung: Linke und Grüne behalten jeweils zwei Sitze, die Union bekommt sieben Sitze (plus 1), die SPD fünf (plus 2).

Wer sind die Abgeordneten?

Im neuen Bundestag werden 402 Männer und 229 Frauen sitzen. Der Frauenanteil liegt mit 36,3 Prozent dreieinhalb Prozent höher als vor vier Jahren. Die Zahl der MdBs aus Einwandererfamilien steigt von 21 auf 34. Das entspricht einem Anteil von rund 5,4 Prozent. Der jüngste Abgeordnete ist Mahmut Özdemir von der SPD, geboren am 23. Juni 1987. Die jüngste weibliche Abgeordnete ist Emmi Zeulner von der CSU, sie wurde am 27. März 1987 geboren. Nach dem amtlichen Endergebnis des Bundeswahlleiters erhält die CDU/CSU 311 Sitze, die SPD 193. Die Linke bekommt 64 Sitze, die Grünen schicken 63 Abgeordnete in den Bundestag.