Die Staatsanwaltschaft ermittelt im Göttinger Skandal auch wegen fahrlässiger Tötung. 23 Fälle aus den Jahren 2010 und 2011 untersucht.

Göttingen. Im Göttinger Organspendeskandal wird nicht nur wegen Bestechung, sondern auch wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Es bestehe der Anfangsverdacht, dass durch Manipulationen in der Klinik Menschen andernorts gestorben seien, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Göttingen, Frank-Michael Laue.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) forderte eine "lückenlose Aufklärung" der Vorfälle. Inzwischen stehen zwei Ärzte der Klinik in dem Verdacht, medizinische Daten manipuliert zu haben, um Patienten auf der Warteliste für Spenderorgane nach oben zu schieben. Dadurch könnten andere Kranke, die kein Organ erhalten haben, gestorben sein. Die Mediziner könnten fahrlässig oder bedingt vorsätzlich gehandelt haben, sagte Staatsanwalt Laue. "Die Ermittlungen stehen aber noch am Anfang."

Die Uniklinik Göttingen suspendierte den zweiten beteiligten Mediziner. Die Göttinger Staatsanwaltschaft ermittelt parallel zur Staatsanwaltschaft Braunschweig, die seit einigen Wochen dem Verdacht der Bestechlichkeit nachgehen; ihre Behörde kümmert sich schwerpunktmäßig um Korruptionssachen.

Insgesamt werden 23 Fälle aus den Jahren 2010 und 2011 untersucht. Man stecke mitten in den Ermittlungen, sagte die Braunschweiger Staatsanwältin Serena Stamer. Ausgang und Dauer seien ungewiss. Die Beschuldigten hätten sich noch nicht zur Sache geäußert, ihre Verteidiger hätten noch keine Akteneinsicht erhalten.

+++ Skandal um Organspende - manipulierte Krankenakten +++

Die Staatsanwaltschaft habe noch keine Stellungnahme abgegeben. In den nächsten Monaten müssten Daten von Transplantationen in zwei Jahren untersucht und verglichen werden. Experten müssten gehört werden. Gleichzeitig suche man nach Hinweisen, ob Bestechungsgeld oder Gegenleistungen geflossen seien. Einen konkreten Tatverdacht gebe es noch nicht. Für beide Beschuldigte gelte die Unschuldsvermutung, sagte Staatsanwältin Stamer.

Im Juni war zunächst der Leiter der Transplantationschirurgie in Göttingen ins Visier der Ermittler gerückt. Er soll Krankendaten gefälscht haben, um die eigenen Patienten bei Spenderlebern zu bevorzugen. Er arbeitet nicht mehr an der Uniklinik Göttingen.

Inzwischen wurde ein weiterer Arzt in leitender Funktion vom Dienst freigestellt. Laut der Göttinger Klinik erhärtete sich der Verdacht, dass der Mann an Manipulationen bei Transplantationen beteiligt war oder selbst manipulierte. Seine Aufgabe war unter anderem die Voruntersuchung von Patienten. Der Arzt bestreite die Vorwürfe, sagte ein Sprecher der Göttinger Uni-Medizin. Die Wohnung und das Büro des Mannes wurden von der Staatsanwaltschaft durchsucht.

+++ Organspende in Zahlen +++

Gegen den Göttinger Oberarzt, gegen den zuerst ermittelt wurde, sind inzwischen neue Vorwürfe bekannt geworden. Nach Angaben der Uniklinik in Regensburg soll er dort 2005 für Missstände bei Transplantationen gesorgt haben. Damals seien verbotenerweise Patienten aus Jordanien auf eine Warteliste für europäische Transplantationspatienten gesetzt worden, sagte eine Sprecherin des Regensburger Klinikums. Die Staatsanwaltschaft Regensburg hatte damals gegen den Arzt ermittelt, die Ermittlungen seien aber eingestellt worden, sagte ein Sprecher. Nun werde man prüfen, ob die Ermittlungen aufgenommen werden. Die Regularien in allen fünf bayerischen Transplantationszentren sollen überprüft werden, kündigte das Wissenschaftsministerium in München an.

"Für uns ist aber Göttingen der Ausgangspunkt im Moment", sagte Stamer. Sollten sich Hinweise auf die Beteiligung anderer Kliniken ergeben, müssten die Ermittlungen ausgedehnt werden. Geprüft werde, ob weitere Mitarbeiter in den möglichen Skandal verwickelt sind. Ermittelt wird zudem gegen eine Firma aus Nordrhein-Westfalen, die mindestens einen Patienten mit finanziellem Profit an die Göttinger Klinik vermittelt haben soll. Bislang gebe es noch keine Hinweise auf weitere deutschlandweite Verflechtungen, sagte der Göttinger Staatsanwalt Andreas Buick.

Eine Sprecherin von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte, gerade beim sensiblen Thema Organspende sei eine sorgfältige Aufklärung der Vorwürfe wichtig. Über Konsequenzen werde diskutiert, wenn alle Fakten bekannt seien. Die Vorgänge an der Universitätsklinik in Göttingen seien erschütternd und "ethisch verwerflich".

Eine anonyme Anzeige bei der Deutschen Stiftung für Organtransplantation mit einem Hinweis auf möglichen Organhandel an der Göttinger Klinik habe die Ermittlungen Anfang des Jahres ins Rollen gebracht, sagte Staatsanwältin Serena Stamer. Überprüfungen der Bundesärztekammer und der Klinik waren dann die Grundlage für Durchsuchungen bei den beiden verdächtigten Medizinern.