Mehr Kontrollen und Konferenzen beseitigen die Schwachstellen bei Organspenden nicht

Der Göttinger Organspendeskandal und die gestern von Ärzten, Kliniken und Kassen hektisch vereinbarten Gegenmaßnahmen sind ein typisches Beispiel, wie Probleme kuriert werden: Es wird an den Symptomen herumgedoktert. Aber bis zur tatsächlichen Ursache dringen die Verantwortlichen gar nicht erst vor.

Denn das ist der Kern des Missstands: In Deutschland gibt es erschreckend wenig Spenderorgane. Elf werden laut Statistik am Tag eingepflanzt. Im selben Zeitraum sterben aber drei Schwerstkranke, nur weil sie auf der Warteliste nicht weit genug oben stehen. Das rechtfertigt nicht das in jeder Hinsicht unethische Verhalten des Göttinger Mediziners, der seine Patienten mit manipulierten Krankendaten zu noch dringlicheren Fällen gemacht hat, als sie ohnehin schon waren. Aber die kriminelle Energie, Labordaten zu fälschen oder den Grad der akuten Lebensgefahr noch weiter zu steigern, wird auch nicht mit dem Maßnahmenkatalog aus der Welt geschafft, auf den sich Politik und Funktionäre so ungewöhnlich schnell geeinigt haben.

Was ist schon neu daran, ein sogenanntes Mehr-Augen-Prinzip einzuführen? Wer weiß, wie viele Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen - zumal in Uni-Kliniken - an der Diagnose und der Therapie Schwerstkranker beteiligt sind, der ist bisher eigentlich nie auf die Idee gekommen, hier entscheide ein einzelner Mediziner selbstherrlich über das weitere Vorgehen. Und an die Wirksamkeit von schärferen Kontrollen oder gar von "interdisziplinären Transplantationskonferenzen", die es bald geben soll, mag glauben, wer auch sonst gern auf abwegige Heilmethoden vertraut. Das alles klingt eher nach einer ordentlichen Dosis Beruhigungspillen für die verunsicherten Bürger.

Deren Skepsis beim Thema Organspende ist allerdings beunruhigend groß und oft genug geprägt von obskuren Horrorvorstellungen, die sich eher an Science-Fiction-Filmszenen als am deutschen Klinikalltag orientieren.

Dort stehen inzwischen Spenderorgane zur Verfügung, die man noch vor wenigen Jahren mangels begleitender Therapiemöglichkeiten überhaupt nicht verpflanzen konnte und wollte - weil sie von älteren Spendern stammen. Diese Organe werden möglichst regional vergeben, damit lange Transportwege die sowieso nur begrenzte Funktion nicht noch mehr einschränken.

Auf diese Weise wurden im vergangenen Jahr fast 40 Prozent aller Lebern im Lande vergeben - und damit an der offiziellen Warteliste vorbei. Das ist die Kehrseite der Knappheit an Spenderorganen: Was als Ausnahme gedacht war, bietet sich nun als Schlupfloch an, um todkranke Patienten aus dem eigenen Umfeld zu bevorzugen.

Solche Details wurden bisher in der Öffentlichkeit gern verschwiegen. Jetzt liegen sie auf dem Tisch, und es wäre der richtige Zeitpunkt, mit einer ähnlich auffälligen politischen Energie - mit der gerade ein ziemlich wirkungsloses Maßnahmenbündel geschnürt worden ist - auch die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen. Länder wie Spanien, Italien oder Österreich machen uns vor, wie das geht.

Dort gilt die Widerspruchsregelung. Das heißt, jeder ist ein potenzieller Organspender, es sei denn, er widerspricht dem ausdrücklich. In Deutschland erscheint das vielen zu rigoros. Aber für alle Deutschen, die in diesen Ländern Urlaub machen, gilt das bereits. Jenseits der Grenze können sie - oft unwissentlich - im Todesfall zum Organspender werden.