Der Bundeswehrverband hält die Kritik aus den USA für politisch motiviert. „Entscheiden muss immer der Kommandant vor Ort.“

Berlin/Kabul. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, hat die Kritik an dem von der Bundeswehr angeforderten Bombenangriff als „Retourkutsche“ bezeichnet. In der WDR-Sendung „Morgenecho“ begründete Kirsch das damit, dass Deutschland „immer den Zeigefinger erhoben hat, als das anderen Nationen passiert ist, was dort jetzt im Raum Kundus geschehen ist“.

Tatsächlich müssten „Nato, Bundeswehr, aber auch die Staatsanwaltschaft Potsdam nun erst mal untersuchen (...), ob zum Beispiel ein Anfangsverdacht gegen den Kommandeur vorliegt“, sagte Kirsch. Die „letztendliche Verantwortung“ trage der Kommandeur vor Ort. Die Unterstützung durch Kampfbomber sei eine „ganz schwierige Operation“, erklärte Kirsch. Die Taliban kämpften perfide: „Sie nehmen ganz gezielt immer zivile Opfer in Kauf, um die Stimmung letztendlich gegen die internationale Gemeinschaft aufzubringen. Das tun sie sogar mit Kindern, die sie vorwegschicken, über die sie hinwegkämpfen.“

Kirsch bezeichnete die Lage der deutschen Soldaten in Afghanistan als Krieg. „Im Raum Kundus ist Krieg“, sagte er. Er warnte aber davor, diesen Begriff auf die Situation im ganzen Land anzuwenden. „In Faisabad und Masar-i-Scharif haben wir im Moment auch eine andere Lage als in Kundus.“

Die Toten in der Zivilbevölkerung nach Militäroperationen sorgen für großen Unmut bei den Afghanen. Allerdings sind nicht die Streitkräfte, sondern die Taliban für die meisten zivilen Opfer verantwortlich, die bei Anschlägen und Angriffen oftmals keine Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden alleine in den ersten fünf Monaten des Jahres 800 Zivilisten in Afghanistan getötet, 24 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Uno machte die Aufständischen für 55 Prozent der Opfer verantwortlich, ein Drittel ging auf das Konto von Soldaten. Die verbleibenden zwölf Prozent ließen sich dem Bericht zufolge nicht zuordnen. Die meisten Opfer bei Militäroperationen führte die Uno auf Luftangriffe zurück.

Der Kommandeur der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf, Stanley McChrystal, hat die Vermeidung ziviler Opfer zu einem seiner wichtigsten Ziele gemacht. Seit seinem Dienstantritt in Kabul vor etwa drei Monaten hat der US-General mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Zahl der bei Militäroperationen getöteten Unbeteiligten zu verringern. McChrystal, der auch Kommandeur aller US-Truppen in Afghanistan ist, erließ dazu eine „taktische Direktive“. Außerdem befasst sich eine „Richtlinie zur Aufstandsbekämpfung“ von Ende August mit dem Schutz von Zivilisten.

In McChrystals Direktive heißt es: „Kommandeure müssen den durch direkte Luftunterstützung erzielten Gewinn gegen die Kosten ziviler Opfer abwägen, die den langfristigen Erfolg unserer Mission erschweren und das afghanische Volk gegen uns aufbringen.“ Vorrangiges Ziel müsse sein, die Unterstützung der Afghanen zu erlangen. Ausschließlich afghanische Sicherheitskräfte sollten sich Zutritt zu Häusern von Zivilisten verschaffen. „Keine Isaf-Truppen werden in eine Moschee oder einen anderen religiösen oder historischen Ort eindringen oder darauf schießen, außer in Selbstverteidigung.“ McChrystal betont in der Richtlinie, dass die wichtigste Aufgabe der Soldaten der Schutz der Bevölkerung ist, nicht das Töten von Taliban. „Verdient Euch die Unterstützung der Menschen, und der Krieg ist gewonnen, unabhängig davon, wie viele Militante getötet oder gefangen werden."