Die Kanzlerin will dem Bundestag Rechenschaft über den Luftangriff abgeben. Nach Angaben aus Afghanistan gab es 135 Opfer, darunter viele Kinder.

Berlin. Bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff im nordafghanischen Kundus sind nach Angaben des Distrikt-Gouverneurs von Char Darah mindestens 135 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Gouverneur Abdul Wahid Omarkhel sagte, er habe eine Liste der Opfer erstellt und der Delegation von Präsident Hamid Karsai übergeben, die den Vorfall untersucht. Karsai hat den Luftangriff scharf verurteilt. „Was für eine Fehleinschätzung!“, sagte Karsai der französischen Zeitung „Le Figaro“. Mehr als 90 Menschen hätten wegen der manövrierunfähig in einem Flussbett steckenden Tanklaster sterben müssen. Er frage sich, warum keine Bodentruppen eingesetzt worden seien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird an diesem Dienstag im Bundestag eine Regierungserklärung zur Lage in Afghanistan abgeben. Darauf haben sich die Spitzen der Koalitionsfraktionen verständigt. Das Verteidigungsministerium hat den Angriff auf zwei Tanklastwagen gerechtfertigt. Ministeriumssprecher Thomas Raabe sagte, der Luftangriff sei „militärisch notwendig“ gewesen. „Wir stehen hinter dem Kommandeur.“ Raabe ließ offen, ob es zivile Opfer gegeben hat. „Wir haben bis zum jetzigen Zeitpunkt keine konsolidierten Kenntnisse über zivile getötete Personen.“

Es sei unklar, so der Gouverneur, wie viele der Toten Zivilisten gewesen seien. Unter den Opfern sei aber eine große Anzahl Kinder im Alter zwischen zehn und 16 Jahren. Auch die Nato-Schutztruppe Isaf untersucht den Luftangriff vom Freitag. Ein Mitglied der Karsai-Delegation, das anonym bleiben wollte, bestätigte den Erhalt der Liste. Die Angaben würden überprüft, hieß es. Gouverneur Omarkhel sagte nach Gesprächen mit Stammesältesten und Dorfbewohnern, 107 Menschen aus dem Distrikt Char Darah seien getötet worden. 15 weitere Opfer seien aus der Provinz Baghlan gewesen, die neben Kundus liegt.

Mehr als zwölf der Toten stammten aus dem Distrikt Ali Abad, der an Char Darah anschließt. Die Fremden hätten sich zum Zeitpunkt des Angriffs in Char Darah aufgehalten. 27 Menschen seien bei dem Bombardement verletzt worden. Die Vorsitzende des Verteidigungs-ausschusses des Bundestags, Ulrike Merten (SPD), hat eine Sondersitzung zu dem Luftangriff in Afghanistan gefordert. Sie werde den Mitgliedern des Gremiums eine außerordentliche Sitzung vorschlagen, damit die Obleute über die Hintergründe des Angriffs informiert würden, sagte Merten dem WDR.

Die SPD-Politikerin kritisierte erneut die Informationspolitik von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU): „Die Informationen, die ich bisher habe und auch die Obleute des Verteidigungs-ausschusses, sind ganz knapp gefasst gewesen. Und das ist wirklich zu bemängeln.“ Jung habe sich am Wochenende in den Medien auch in Details zu dem Einsatz geäußert, die der Verteidigungsausschuss bislang nicht erfahren habe, sagte Merten.