Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily wandelte sich vom RAF-Anwalt zum roten Sheriff. Heute wird er 80 Jahre alt.

Berlin. Schon lange war von Otto Schily nichts mehr zu hören gewesen, Anfang des Monats hat er sich wieder einmal zu Wort gemeldet. Er übernahm die "politische Verantwortung" dafür, dass die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund jahrelang unbehelligt von den deutschen Sicherheitsbehörden morden konnte. "Mich hat die Mordserie tief betroffen gemacht und die Tatsache, dass wir den Tätern erst so spät und eigentlich nur durch Zufall auf die Spur gekommen sind. Inzwischen wissen wir, dass die Mordserie bereits während meiner Amtszeit als Bundesinnenminister begonnen hat. Und es ist selbstverständlich, dass ich die politische Verantwortung nicht nur für die Erfolge der Sicherheitsbehörden in dieser Zeit trage", begründete er seinen ungewöhnlichen Schritt.

Das passt zur Rolle des wandlungsfähigen Elder Statesman, in der sich der spät berufene Sozialdemokrat und ehemalige Bundesinnenminister ganz wohlfühlt. Heute wird Otto Schily 80 Jahre alt. Der scharfzüngige Redner, der Freund und Feind provozieren kann, äußert sich zwar nur noch selten zu Tagesfragen der Politik, doch er ist weiter viel unterwegs, übernimmt gelegentlich noch Mandate als Anwalt - und meldet sich bisweilen in früher unvorstellbarer Gesellschaft zu Wort.

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2010 etwa war Schily einer der prominenten Unterstützer einer Initiative der großen Stromkonzerne für die längere Laufzeit von Atomkraftwerken. Dass sich jetzt Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach (CDU) geradezu überschwänglich bei Schily für dessen Verdienste um die Heimatvertriebenen bedankt, war auch nicht unbedingt absehbar. Und - ganz anders als seine Partei - ist Schily ein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung: "Ich kann die Vorbehalte bis heute nicht verstehen." Die Speicherung sei ein unverzichtbares Instrument bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus.

Der am 20. Juli 1932 in Bochum als Sohn eines Hüttendirektors geborene Schily wuchs in einer anthroposophisch geprägten Umgebung auf, studierte Jura und Politologie. 1963 eröffnete er in West-Berlin eine Anwaltskanzlei. Es war der Ausgangspunkt für eine ungewöhnliche Karriere.

Als Verteidiger linksextremer Terroristen wurde er stark angefeindet

Als Verteidiger von Mitgliedern der linksterroristischen Rote Armee Fraktion wurde Schily einer der bekanntesten Anwälte der Republik - und einer der am meisten angefeindeten. 1970 verteidigte er seinen damaligen Freund Horst Mahler, der später in die rechtsextreme Szene abdriftete. Im RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim zwischen 1975 und 1977 war Schily Vertrauensanwalt von Gudrun Ensslin.

1980 gehörte er zu den Mitbegründern der Grünen. Im alternativen Milieu wurde der stets korrekt gekleidete Schily aber nicht richtig heimisch. Im ersten großen Parteispendenskandal der Republik brillierte er Mitte der 1980er-Jahre im Flick-Untersuchungsausschuss und setzte CDU-Kanzler Helmut Kohl heftig zu. Doch 1989 verließ der "Realo" die Grünen und zog 1990 als SPD-Abgeordneter wieder in den Bundestag ein.

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Mit dem Wahlsieg der rot-grünen Koalition bei der Bundestagswahl 1998 begann ein weiteres neues Kapitel. Mit 66 Jahren übernahm Schily ein Schlüsselressort. Im Kabinett von Gerhard Schröder wurde er der erste sozialdemokratische Innenminister in Deutschland seit 1928. "Otto Schily ist angekommen, wo er doch immer hingehörte: ganz oben", schrieb sein Biograf Stefan Reinecke. Schily "verdankt alles, was er geworden ist, sich selbst und seiner Herkunft, keiner Partei, keinem Kollektiv, keiner Bewegung". Er habe sich nicht grundlegend verändert und sei trotzdem ein ganz anderer geworden. Schily selbst kommentierte seine Wandlungen mit dem Satz: "Nur Idioten ändern sich nicht."

In seine Amtszeit fiel die Verabschiedung wichtiger Gesetze wie das Staatsbürgerschaftsrecht und der mit der Union ausgehandelte Zuwanderungskompromiss. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 schlug die Stunde des Sicherheitspolitikers Schily. Er präsentierte seine beiden "Otto-Kataloge" zum Anti-Terror-Kampf und galt fortan als "roter Sheriff".

Als Schily 2005 sein Ministerium in Berlin verließ, atmeten viele im Haus auf. Als Vorgesetzter war er gefürchtet. Legendär wurde sein Satz: "In meinem Ministerium kann jeder machen, was ich will." Mit 70 wollte Schily aufhören. Er tat es nicht, war später noch Alterspräsident des Bundestags, bevor er 2009 aus dem Parlament ausschied. Ob er seine Erinnerungen aufschreiben werde, wurde Schily vor Kurzem gefragt. Seine Antwort war ein typischer Schily-Satz: "Ich komme dann nur in die Versuchung, zu retuschieren und mich besser darzustellen, als ich bin."