Die CDU hat ihre Pleiten in Hamburg und anderen Metropolen noch nicht verkraftet. Eine Gruppe von Abgeordneten will sie großstadttauglich machen.

Berlin. Solange Ole von Beust in Hamburg das Sagen hatte, fand man dieses spezielle Thema im Konrad-Adenauer-Haus nicht ganz so bedeutsam. Wer dennoch danach fragte, bekam als Antwort: "Doch, doch, wir können Großstadt - schauen Sie doch nach Hamburg." In der CDU glaubten manche wirklich, was sie da über ihr vermeintliches Großstadtprofil sagten. Neun Jahre lang regierte schließlichein smarter CDU-Mann Deutschlands zweitgrößte Stadt, welche zuvor auf eine Weise mit der SPD verflochten war, wie es sonst in der Republik nur zwischen der CSU und dem Staate Bayern zu beobachten war. Beust hatte die Sozi-Hochburg Hamburg geknackt. Welch ein machtpolitisches Erdbeben. Irgendwann aber verlor auch ein Ole von Beust die Lust am Regieren, und mit ihm verlor auch Hamburg die Lust an der CDU. Die Sozialdemokraten sind seit Februar 2011 mit absoluter Mehrheit zurück.

Seitdem hat sich der Ton in der CDU-Zentrale verändert, wenn es um die Regierungsfähigkeit in Metropolen geht. Generalsekretär Hermann Gröhe will die Großstadtkompetenz seiner Partei ausbauen. Es wird eine Operation am offenen Herzen. Denn neue Wahlen stehen an. Am 7. Oktober bestimmen die Stuttgarter einen neuen Oberbürgermeister. Im Konrad-Adenauer-Haus wird dem Ereignis höchste Priorität zugestanden.

+++ Parteien ohne Volk +++

Im Bundestag sorgt sich paralleleine Gruppe von knapp 20 CDU-Abgeordneten aus Städten von mehr als 500 000 Einwohnern um das "City-Gefühl" ihrer Partei. Nach der informellen Gründung der Gruppe im vergangenen Jahr ist für den Herbst das nächste Treffen geplant, wie der Frankfurter CDU-Parlamentarier Matthias Zimmer dem Hamburger Abendblatt bestätigte. Es gibt viel zu analysieren: Nach den Pleiten von Hamburg (21,9 Prozent), Bremen (20,4 Prozent), später Berlin (23,4 Prozent) ist im vergangenen März auch noch Frankfurt am Main bei der Oberbürgermeister-Wahl verloren gegangen. Die Einwohner der Mainmetropole taten das, was Gröhe inzwischen auch festgestellt hat: Sie achteten an der Wahlurne weniger auf die Parteien, dafür umso mehr auf Persönlichkeiten. Und sie urteilten, dass der mit vielAufwand präsentierte hessische Innenminister Boris Rhein ihrer vertrauten Petra Roth nicht nachfolgen sollte. Die Partei hat das Ereignis tief verunsichert. Jetzt darf nicht noch eine Metropole verloren gehen - womöglich sogar an die Grünen. Diese schicken in Stuttgart allerdings mit Fritz Kuhn, demfrüheren Partei- und Fraktionschef im Bundestag, einen bundespolitischen Vollprofi ins Rennen.

Die CDU versucht sich in der Hauptstadt Baden-Württembergs in einem gewagten Manöver, das jene grün denkende und wählende Bourgeoisie ansprechen soll. Der parteilose Sebastian Turner, Mitbegründer der renommierten Werbeagentur Scholz & Friends, gibt sich als unabhängiger Kopf und will im grünen Milieu Punkte sammeln. Die Strategie könnte, sollte sie im Erfolg münden, stilbildend sein. Der CDU-Abgeordnete Zimmer, Initiator des Großstadt-Kreises, ist überzeugt: "Ein CDU-Kandidat in einer Großstadt muss auch für die Grünen wählbar sein." Die Partei sei nun einmal in den Großstädten besonders präsent. Daher müsse sich die CDU hier stärker mit ihr auseinandersetzen. Zimmers Appell: "Wir müssen prüfen, welche Form von Zusammenarbeit mit den Grünen funktioniert und wie sehr wir miteinander koalitionsfähig sind."

+++ Revolutionäre Ideen für die CDU +++

Auf solche Aufforderungen reagiert der Hamburger CDU-Landeschef und Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg sensibler als andere Großstadt-Christdemokraten. Das Scheitern des schwarz-grünen Bündnisses nach der Ära Beust hat er aus nächster Nähe verfolgt. Und er hat feststellen müssen, dass der Bruch den Grünen kaum Schaden zugefügt hat. Die CDU aber leidet noch immer. Mit dem Abzielen auf neue Wählerschichten geht Weinberg also lieber vorsichtig um. "Wir bewegen uns quasi zwischen Einstecktuch und Blaumann", sagt er und erklärt, was er damit meint: Man müsse auf die verstärkte Zunahme verschiedener Milieus mit entsprechenden unterschiedlichen Themen und wechselndem Wahlverhalten zwar reagieren, doch dürfe man die Stammwähler nicht vernachlässigen. "Unsere inhaltlichen Angebote müssen alles umfassen, quasi von der gezielten Fußreflexzonenmassage bis zum kompletten Gesundheitscheck."

Neben Weinberg will der Frankfurter Abgeordnete Zimmer - erst recht nach der Pleite bei der OB-Wahl - seine Partei mit einem Großstadtprofil ausstatten. Und zwar einem, das in Stuttgart genauso tauglich sein soll wie in Leipzig oder Hannover. Wer Zimmer dabei zuhört, wie er einen Vorschlag nach dem anderen für dieses neue Profil der Metropolenpartei macht, könnte dahinter fast die Forderung nach einem eigenen Parteiprogramm für die Großstadt heraushören. Aber so weit ist Matthias Zimmer noch nicht. Er sagt: "Wir sind uns als Großstadtvertreter bewusst darüber, dass wir es mit ganz spezifischen Problemen zu tun haben, die in kleineren Städten und auf dem Land nicht auftreten."

+++ Was macht die CDU im Norden falsch? +++

Dann zählt er die offenen Flanken auf: Die CDU in den Großstädten müsse für sich eine klare Position finden, wie sie etwa mit dem Christopher Street Day und Forderungen nach der steuerlichen Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften mit der Ehe umgehe. Dann: "Wie soll eine zeitgemäße CDU-Großstadtpolitik beim Thema Drogen aussehen? Muss nicht eine kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige zum christlichen Menschenbild der CDU gehören?" Und: "Die CDU muss für sich auch klären, wie sie mit stärker werdender Eventkultur umgeht." Es gibt Gesprächsbedarf im Herbst, wenn Zimmer die Kollegen zur Analyse bittet. Das Treffen soll erst nach der Wahl in Stuttgart stattfinden. Schließlich wolle man auch einen Vergleich zu Frankfurt ziehen, wo der CDU-Kandidat Rhein für die grüne Klientel offenbar nicht wählbar gewesen sei, so Zimmer. Weinberg will mit der Gruppe über die Analyse hinausgehen und sieht sie eher als parteiinternen Ideengeber. "Wir sollten in Städten vergleichbare Erscheinungen und Wirkungen identifizieren und Strategien und Kampagnen entsprechend verstärkt abstimmen. Der Kreis der Großstadt-MdBs wird insoweit mehr als ein Netzwerk mit Austauschfunktion und Informationsweitergabe sein", kündigt der Hamburger Landeschef an. Und nach einer eher detaillierten Analyse müsse dann sicherlich ein Strategie- und Kampagnenansatz entwickelt werden.

Nach der Oberbürgermeisterwahl von Stuttgart im Oktober folgt im Januar 2013 dann die Landtagswahl in Niedersachsen. Ministerpräsident David McAllister will wiedergewählt werden, aber er kann sich nicht auf seine Popularität verlassen. Sein SPD-Herausforderer Stephan Weil gilt über Parteigrenzen hinweg als rationale, moderat agierende Persönlichkeit. Weil ist Oberbürgermeister von Hannover. Er kann Großstadt, und dieser Umstand könnte sich als Vorteil im Wahlkampf erweisen. Gut möglich, dass McAllister demnächst einmal bei den Herren Zimmer und Weinberg anruft und diese um Rat bittet.