Bei der Anhörung zu den Neonazi-Morden gibt der Behördenchef grobe Fehler zu. Bundesamt für Verfassungsschutz soll Akten gelöscht haben.

Berlin. Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Neonazi-Morde hatte gestern einen prominenten Gast geladen: Der Chef des Bundeskriminalamts (BKA) wurde in den Europasaal 4900 im Berliner Paul-Löbe-Haus bestellt, um als Zeuge darüber vernommen zu werden, welche Rolle er bei den Ermittlungspannen im Fall der rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gespielt hat. Die Gruppe soll von 1998 bis 2011 nahezu unbehelligt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund gelebt und bundesweit zehn Menschen ermordet haben. Sie flog auf, nachdem die beiden Haupttäter, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, am 4. November 2011 Selbstmord begangen hatten.

Die Worte des Polizeipräsidenten, der seit 2004 im Amt ist, waren deutlich: "Wir haben versagt." Er bedauere, dass die deutschen Sicherheitsbehörden ihren Schutzauftrag nicht nachgekommen seien, sagte er und zeigte sich zugleich überzeugt, dass die Ermittlungspannen zu großen Teilen der föderalen Struktur der Bundesrepublik geschuldet gewesen seien. So hätten die Ermittlungen bei den Ländern belassen werden müssen, da dies der Rechtslage entsprochen habe. Der Kompromiss zwischen Bund und Ländern, eine bayerische Steuerungsgruppe mit BKA-Beteiligung für den Fall einzurichten, sei aus dieser Situation heraus fast optimal gewesen. Damit habe sich das BKA mit seinem Ansinnen, die Ermittlungen zu übernehmen, "zu 80 Prozent durchgesetzt". Von organisatorischen Pannen oder fehlendem Durchsetzungswillen in seiner Behörde könne deshalb nicht die Rede sein, betonte Ziercke.

Ein wesentlicher Fehler sei viel mehr gewesen, dass die Sicherheitsbehörden nicht bereits nach den Neonazi-Anschlägen Anfang der 1990er-Jahre genügend auf die Gefahren durch den Rechtsextremismus vorbereitet wurden, sagte Ziercke. So hätte man schon damals ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus schaffen müssen, kritisierte er.

+++ BKA-Präsident wird zu Neonazi-Ermittlungen befragt +++

Doch die Relativierung seiner Selbstkritik brachte Ziercke Ärger ein. SPD, Grüne und Linke warfen ihm unter anderem vor, im Jahre 2006 nicht die zentralen Ermittlungen an sich gezogen zu haben. "Es war eine Niederlage für das BKA", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) nach der Befragung. Zudem habe Ziercke zwar grundsätzlich von einem Versagen der Ermittlungsbehörden gesprochen, aber keine Verantwortung übernehmen wollen. Seine Haltung sei "eher arrogant denn der Sache angemessen" gewesen, meinte Edathy.

Und noch ein anderer Vorfall empörte die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses: Wie bekannt wurde, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) am 11. November 2011 mindestens vier Akten gelöscht, aus denen hervorgegangen sein soll, wie im Rahmen der Operation "Rennsteig" mit V-Leuten aus der NSU-Vorgängerorganisation Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde. Ein "unglaublicher Vorgang", sagte FDP-Obmann Hartfrid Wolff. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sagte, der Vorgang stelle die Frage in den Raum, ob die bisherigen Auskünfte stimmten, dass die NSU-Mitglieder nicht auf den Lohnlisten der Verfassungsschutzämter standen. "Wir sind sehr erschüttert in unserem Vertrauen, korrekt informiert worden zu sein." Er sprach von "einer Aktion Konfetti der besonderen Art", die jedoch nicht besonders lustig sei. Er fügte hinzu: "Das muss Konsequenzen haben, und das wird Konsequenzen haben." Auch die Obfrau der SPD in dem Gremium, Eva Högl, nannte die Aktenvernichtung einen "unerhörten Skandal". Erst die Aufforderung, die Beweismittel zusammenzustellen, habe bei den Sicherheitsbehörden offenbar dazu geführt, ebendiese zu vernichten. Es dränge sich deshalb der Verdacht auf, dass Fehler der Sicherheitsbehörden vertuscht werden sollten.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt sagte: "Dass der Verfassungsschutz jetzt zugegeben hat, Akten vernichtet zu haben, die für das Verfahren von Bedeutung sind, ist ein Image-GAU für die innere Sicherheit in Deutschland." Das BfV will nun offenbar die Akten wieder rekonstruieren. Dies bot ein BfV-Vertreter dem Ausschuss an, wie die Nachrichtenagentur dapd aus Sicherheitskreisen erfahren haben will.

Unterdessen verabschiedete der Bundestag gestern eine neue Verbunddatei, mit der gewaltbereite Neonazis besser verfolgt werden können. In das von Ermittlern künftig bundesweit abrufbare Verzeichnis sollen Rechtsextremisten aufgenommen werden, die einen klaren Gewaltbezug aufweisen. Die Datei soll die Ermittlungsarbeit vereinfachen und die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitsdiensten stärken.