Als Generalsekretär wollte Christian Lindner die FDP wieder auf Kurs bringen. Er hinterlässt nach seinem Rücktritt eine zerrissene Partei.

Berlin. Es ging alles ganz schnell. Ohne Vorankündigung und zur Überraschung selbst enger Vertrauter ist FDP-Generalsekretär Christian Lindner gestern von seinem Amt zurückgetreten. In knappen zwei Minuten, mit wenigen Sätzen und so gut wie keiner Begründung verkündete er seinen Abschied aus der ersten Reihe der Partei. "Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz frei machen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen", sagte er. Und: "Meine Erkenntnis hat für mich zur Konsequenz, dass ich aus Respekt vor meiner Partei und vor meinem Engagement für die liberale Sache mein Amt niederlege." Aus Respekt vor dem eigenen Engagement? Ein Satz, der aufhorchen lässt. Ein Satz, der aber auch charakteristisch ist für die Schwierigkeiten, die Linder am Ende zunehmend mit seiner Partei hatte.

Lindners Abschiedsworte erinnern an eine Begegnung zwischen Lindner und seiner Parteibasis im Herbst in der Hamburger Speicherstadt. Er arbeitete hier gemeinsam mit den FDP-Mitgliedern den liberalen Kompass für die Zukunft aus. Vier Stunden dauerte die Diskussion. Doch während Lindner auf dem historischen Dachboden von "Bürgersouveränität" und "fiskalischer Bescheidenheit" sprach, krachten die Liberalen draußen von einem Umfragetief ins andere. 50 Meter Luftlinie entfernt düsten Modelleisenbahnen durch das Miniatur Wunderland. "Passt ja", flüsterte eine Frau im Publikum. Ein Wunder brauchte die FDP auch. Lindners Thesen halfen nicht.

Der Partei versetzt sein Rücktritt einen Schock. Selbst Parteichef Philipp Rösler habe erst am Morgen von Lindners Plänen erfahren - und bedauere dessen Schritt, wie er wenig später vor den Kameras sagte. Viel mehr nicht - zumindest vorerst.

Wie bei jedem überraschenden Rücktritt eines Spitzenpolitikers startete auch gestern ein Wettlauf der Spekulationen über die Gründe. In Parteikreisen hieß es, zwischen Lindner und Parteichef Rösler habe es in den vergangenen Wochen gekriselt. Der Rücktritt schwäche Rösler weiter. Andere sagen: Sein Schritt verhindere einen Rücktritt Röslers "auf absehbare Zeit". Lindner als Bauernopfer einer Führungsspitze, die ganz anders aufgestellt ist als die Westerwelle-FDP war, aber doch nichts besser macht? Schon in den vergangenen Tagen hatte es Gerüchte über einen "Putsch" gegeben: Fraktionschef Rainer Brüderle könnte das Ruder übernehmen und in die Regierung zurückkehren. Er gilt vielen als der eigentlich starke Mann der FDP. Oder war es doch der Mitgliederentscheid um den Euro-Rettungsschirm ESM? Wie zuvor Rösler hatte auch Lindner das Votum für gescheitert erklärt - bevor die Frist abgelaufen war. Nicht nur dafür geriet er in die Kritik, sondern auch weil die Organisation des Entscheids nicht ohne Pannen verlief. Der Flurfunk sendete viele Signale über Lindners Rücktritt, aber die vielen Wellen verzerren das Gesamtbild.

Wer Antworten will, muss sich an Momente klammern. Wie jenen im Herbst in der Speicherstadt. Lindner, das wird bei seinem Auftritt offensichtlich, hatte am Ende das Gefühl, mit seinen Bemühungen ins Leere zu laufen. Er hatte liberale Gedanken und fand dafür keine liberale Partei mehr. Das war ambitioniert. Das war aber auch verdammt eitel.

Ein Generalsekretär muss den Weg freiboxen für den Parteichef, auch mal schmutzig sein, nach links und rechts ausschlagen. Lindner ist kein Boxer, er ist eher Freigeist, pflegte sein Bild als Intellektueller. Doch das Bild der FDP blieb das gleiche: Sie blieb die ewige Steuersenkungspartei, mit sich selbst beschäftigt, blass in der Koalition mit der Union. Das viele Kleinklein in der Berliner Republik war es auch, was ihn einst zu seinem Schritt aus Nordrhein-Westfalen nach Berlin bewogen hat. Mit 15 tritt er dort in die FDP ein, schon mit 18 steigt er in den Landesvorstand auf. Dann mit 25 wird Lindner Generalsekretär der Landespartei.

Die schärfste Kritik an seinem Schritt musste Lindner aus Schleswig-Holstein ernten. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki befürchtet eine Führungskrise - und neue Personaldebatten. "Das ist etwas, was wir jetzt eigentlich am wenigsten gebrauchen können", so Kubicki. Das Bild der FDP im Bund nannte er "jämmerlich".

Vielleicht kann Patrick Döring besser boxen als Lindner. Der verkehrspolitische Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion wurde noch gestern Abend von Rösler zum neuen Generalsekretär erklärt. Döring steht für einen anderen Politikertyp als Lindner. Er ist gut vernetzt im politischen Berlin, auch zu anderen Parteien pflegt er gute Kontakte, genauso wie zur Wirtschaft und den Verbänden. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn und im Beirat der Deutschen Flugsicherung. Auch Döring ist jung, 38 Jahre, und aufgewachsen in Himmelpforten, einem Örtchen nahe Stade. Döring zählt zu einem der engsten Vertrauten Röslers. Sie kennen sich gut aus der gemeinsamen Zeit in Niedersachsen. Vor Dörings Wahl in den Bundestag war er Fraktionschef der FDP im Stadtrat von Hannover. Als Rösler 2009 für viele überraschend von Guido Westerwelle als Bundesgesundheitsminister nach Berlin berufen wurde, war Döring einer der ersten Ansprechpartner. Döring fühle sich "sehr geehrt" und lasse sich gerne in die Pflicht nehmen, sagte er am Abend. Die FDP müsse wieder zur Geschlossenheit zurückfinden. Die "liberale Fahne" solle spätestens beim Dreikönigstreffen am 6. Januar in Stuttgart wieder aufgerichtet werden. Schon einmal war Döring im Gespräch für den Posten des Generalsekretärs der FDP. Damals machte Lindner das Rennen.

Verspottet wurde die FDP und mit ihr die gesamte schwarz-gelbe Regierungskoalition gestern von der Opposition. "Frau Merkel hat einen Koalitionspartner mit Schwindsucht, das riecht nach Neuwahlen", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Sie rechnet damit, dass Rösler sein Parteiamt noch vor der Wahl in Schleswig-Holstein im Mai 2012 aufgeben wird.

Auch die Linke bewertete Lindners Rücktritt als "Anfang vom Ende Philipp Röslers als Chef der FDP". Die Grünen sprachen von einer "schwindsüchtigen" Partei, der Lindner mit seinem Abgang noch einen Fußtritt versetzt habe. Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen sieht das anders - und rechnet fest mit Lindners politischem Comeback. "Christian Lindner ist einer unserer intelligentesten und besten Köpfe", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Er wird an anderer Stelle und zu anderer Zeit noch viel bewirken können."