Die Grünen-Chefin spricht über Angela Merkels Politikstil, die Proteste gegen die Castor-Transporte und die nächste Wahl im Norden.

Berlin. Für ihren Parteitag zieht es die Grünen an diesem Wochenende in den Norden: Ab heute werden in Kiel 820 Delegierte über ihren künftigen Kurs beraten. Nach dem Abschluss des Konvents am Sonntag fährt rund ein Viertel direkt zu den Protesten gegen die Castor-Transporte ins Wendland - auch Parteichefin Claudia Roth wird dabei sein. Im Interview mit dem Abendblatt erklärt sie, warum der Salzstock in Gorleben aus ihrer Sicht nicht als Endlager für Atommüll taugt - und warum Grüne und CDU weiterhin nicht zusammenpassen.

Hamburger Abendblatt: Frau Roth, haben Sie Klaus Wowereit schon verziehen?

Claudia Roth: Ich muss ihm nichts verzeihen. Klaus Wowereit ist ein freundlicher Mensch, der eine harte Gangart in Machtfragen pflegt. Wir hatten uns in Berlin natürlich mehr ausgerechnet und wollten regieren. Aber Wowereit hat sich mit der CDU lieber einen leichten Partner genommen, mit dem sich in Berlin nichts verbessern wird.

Die Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast ist überzeugt: Das wird kein Grüner der SPD vergessen ...

Roth: Es war ein harter Wahlkampf, da ging es zeitweise ans Eingemachte. Offenbar gibt es immer noch SPDler, die denken, wir seien ihr Anhängsel. In Berlin, wo es um die Macht ging, sind die Ellenbogen ausgefahren worden, aber jetzt gilt es, nach vorne zu blicken.

+++ Künast: "Das werden die Grünen der SPD nie vergessen" +++

Ab Freitag trifft sich Ihre Partei in Kiel. Was erwarten Sie von der Wahl in Schleswig-Holstein 2012?

Roth: Die Grünen im Norden treten an, um die politischen Bankrotteure der Landesregierung aus den Ämtern zu jagen. Sie haben mit Robert Habeck einen kompetenten und sympathischen Spitzenkandidaten benannt. Er denkt quer, er ist kreativ und klug und sitzt nicht in politischen Schützengräben. Er steht für einen völlig anderen Politikstil als das, was dieses Land mit seinen bisherigen Regierungsparteien gewohnt ist. Mit Klientelismus und Populismus muss endlich Schluss sein hier im Norden. So, wie die Grünen in Schleswig-Holstein aufgestellt sind, ist der Machtwechsel drin.

Was kann Habeck von Künast lernen?

Roth: In Berlin gab es zuerst die Spitzenkandidatur und danach wurde das Programm verabschiedet. Wofür die Grünen in Berlin inhaltlich stehen, wurde erst später erklärt. Und als Grüne sollten wir auch den Mut haben, grün zu sein. Manche fanden unseren Wahlkampf zu spießig und bieder. Wir müssen aber zeigen, dass wir eine mutige, freche, bunte Partei sind.

Die Energiewende wird vollzogen, nun rollt der letzte Castor-Transport nach Gorleben . Geht Ihnen da ein klassisches Grünen-Thema verloren?

Roth: Nein, und es wäre ja widersinnig, wenn ich nach 30 Jahren Kampf gegen die Atomkraft den Ausstieg bejammern würde. Nein, das ist unser Verdienst, das haben wir erreicht. Und wir sind noch lange nicht am Ziel. Bei der bundesweiten Endlagersuche etwa ist noch nicht viel passiert, aber Gorleben wird weitergebaut. Deshalb machen wir mobil. Rund 40 Grünen-Busse fahren hin, und rund ein Viertel unserer Delegierten fährt nach dem Parteitag direkt ins Wendland.

Halten Sie eine Blockade des Transports durch Demonstranten für legitim?

Roth: Jeder friedliche Protest gegen den Castor nach Gorleben ist legitim. Und eine friedliche Blockade ist eine legitime Protestform in einer lebendigen Demokratie. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Es werden sich auch viele Grüne an den friedlichen Blockaden beteiligen.

Sich an Schienen festzuketten - ist das eine friedliche Blockade?

Roth: Es ist völlig klar, dass von den Protesten keine Gefahr für Leib und Leben ausgehen darf. Was aber auch nicht länger sein darf, ist die politische Vorfestlegung auf Gorleben als Endlager.

Wo soll eines Tages das deutsche Endlager stehen - wenn nicht in Gorleben?

Roth: Klar ist: Es wird nie den sicheren Ort schlechthin geben. Die Suche muss nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen, und dabei brauchen wir größtmögliche Transparenz. Gorleben wurde politisch ausgewählt, nicht geologisch. Es sind etwa Gasvorkommen unterhalb des Salzes gefunden worden, die eine Einlagerung höchst unsicher machen. Um glaubwürdig einen Neuanfang in der Endlagerfrage zu machen, müsste Herr Röttgen einen sofortigen Baustopp in Gorleben verhängen. Stattdessen werden mit jedem Tag weitere Fakten geschaffen.

Nach der verlorenen Hamburg-Wahl haben Sie im Abendblatt-Interview gesagt: "Schwarz-Grün passt nicht mehr." Würden Sie das heute noch sagen?

Roth: Ich habe immer noch viele Gründe zu sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das zusammengehen soll. Frau Merkel ist die Chefin einer Regierung, die sich in Europa als Schuldenkommissar aufspielt, fährt aber ihren eigenen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 26 Milliarden Euro gegen die Wand. Ich kann Ihnen jetzt viele Beispiele aufzählen, allen voran das Betreuungsgeld, das nichts anderes ist als ein spätpatriarchaler Reflex von CSU-Männern. Das heißt: Unser Abstand zur Union ist nicht geringer geworden, nur weil der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen ist. Es gibt noch viele andere Themen, bei denen wir mit der Union auf keinen Nenner kommen. Auch das Großprojekt Energiewende liegt noch vor uns, bei dem Angela Merkel bislang nur bremst.

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Aber die Union bewegt sich nach links. Denken Sie nur an den Mindestlohn.

Roth: Das täuscht. Man kann doch nicht im Ernst 3,16 Euro für Friseure in Thüringen als Mindestlohn bezeichnen, nur weil es die Tarifvereinbarung ist. Unser Ziel ist ein flächendeckender Mindestlohn, dessen sinnvolle Untergrenze der DGB mit 8,50 Euro beschrieben hat. Der große Unterschied ist, dass wir Grüne regieren wollen, um möglichst viele grüne Inhalte umzusetzen. Frau Merkel will an der Macht bleiben und passt deshalb ihre Inhalte an. Mal hat sie eine neoliberale Phase, um der FDP zu gefallen. Jetzt ist sie plötzlich neosozial, und es riecht eher nach Großer Koalition. Da ist sie hemmungslos. Wir Grüne sind starrsinniger, wenn es um unsere Werte geht.

Frau Roth, welche Konsequenzen müssen aus der Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle gezogen werden?

Roth: Alles muss auf den Tisch. Es muss aufgeklärt werden, warum niemandem aufgefallen ist, dass neun Morde mit derselben Waffe verübt wurden. Ich glaube, dass der Staat jetzt Abstand von V-Leuten nehmen muss. V-Leute aus der rechtsextremen Szene sind und bleiben Nazis. Sie sind keine demokratischen Informanten, deshalb sage ich: V-Leute raus. Sie haben nachweislich nicht die Informationen geliefert, die notwendig waren.

Brauchen wir eine Reform des Verfassungsschutzes?

Roth: Unsere Sicherheitsarchitektur muss überprüft werden. Ich frage mich schon, wen der Verfassungsschutz eigentlich schützt. Dass die Neonazis so lange unentdeckt morden konnten, wirft einen Schatten auf die Arbeit von Staatsorganen und erschüttert unsere Demokratie.

Sie machen sich für ein NPD-Verbot stark. Was macht Sie so sicher, dass ein erneuter Anlauf nicht scheitert?

Roth: Ich trete für ein NPD-Verbot ein, weil die Partei offen verfassungsfeindlich ist. Ihre Verbindungen zu den rechtsextremen gewalttätigen Kameradschaften sind offensichtlich. Die Politik muss sich aber so vorbereiten, dass klar ist, dass der Verbotsantrag Erfolg hat.